Gewitterstille
bis sie einigermaßen sicher herausgearbeitet hatten, dass der Täter bei der Tat vermutlich OP -Handschuhe getragen hatte. Auch die weiteren Punkte der Vernehmung gingen sie jetzt noch einmal durch.
»Eine Nachtschwester, der der Täter quasi auf dem Flur in die Arme gelaufen ist, konnte sich an einen WM- 2010-Aufdruck auf der Rückseite des T-Shirts erinnern«, berichtete Bendt. Die Hoffnung der Kommissare, der alten Dame mit dieser Information eine weitere Erinnerung zu verschaffen, wurde allerdings enttäuscht. Sie schüttelte den Kopf.
»Wusste die Nachtschwester, die du befragt hast, vielleicht, wie groß er war, Ben?«
»Ja, ganz genau – irgendwas zwischen eins siebzig und zwei Metern.« Die bittere Ironie in Bendts Stimme war nicht zu überhören.
»Die Größe hätte ich auch ungefähr so geschätzt«, schaltete sich Frau Kramer wieder ein. Ihr Lächeln, in dem so viel Dankbarkeit darüber lag, dass sie sich erneut an etwas möglicherweise Wichtiges zu erinnern schien, rührte Braun geradezu.
»Sehen Sie, Sie haben sich doch an vieles erinnern können«, schloss Bendt die Vernehmung. Der alten Frau war die Erleichterung deutlich anzusehen, als die Kommissare sich verabschiedeten.
»Sie sollten versuchen, sich auszuruhen, und können uns jederzeit anrufen, wenn Ihnen noch etwas einfällt, das uns weiterbringen könnte«, sagte Braun und schenkte ihr noch ein Glas Wasser ein, bevor sie den Raum verließen.
»Wir haben verdammt wenig«, sagte Bendt, während die Kommissare über den Flur in Richtung Ausgang gingen.
»Ein Mann zwischen zwanzig und vierzig mit Basecap, das ist wahrlich nichts«, bestätigte Braun. Dann fiel ihm plötzlich etwas ein. »In letzter Zeit gab es eine ganze Reihe von Diebstählen in Altenheimen und Krankenhäusern.« Vor gar nicht langer Zeit hatte er mit einem Kollegen aus dem Kommissariat ein Gespräch darüber geführt. In diesem Moment merkte er, dass sein junger Kollege ihn von der Seite musterte. Er zog sein knittriges Leinenhemd über seinem stattlichen Bauch zurecht, wo es verdächtig spannte. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn, und er schnaufte. Trotz des wolkenverhangenen Himmels lag eine schwüle Hitze über der Stadt.
»Leinen läuft beim Waschen immer ein«, sagte er trotzig. »Ich habe nicht zugenommen.«
Bendt schien sich einen Kommentar verkneifen zu müssen und nahm dann den ursprünglichen Gesprächsfaden wieder auf. »Mag sein, dass dieser Fall Teil einer größeren Reihe von Diebstählen in Altenheimen und Krankenhäusern ist und wir es immer mit demselben Täter oder derselben Tätergruppierung zu tun haben.«
»Möglich.« Braun verharrte kurz auf dem unteren Treppenabsatz und blickte in den Speisesaal, an dessen Tischen die Bewohner des Heimes saßen und aßen. Die Anwesenheit der Kripo sorgte offenbar für ungewohnten Gesprächsstoff. Entsprechend wurde an den Tischen rege diskutiert. Den noch gab es einige, die unbeteiligt auf ihre in einzelne Fächer unterteilten Teller aus Hartplastik blickten. Braun fragte sich, ob es in ihrem Leben wohl noch irgendetwas gab, das sie aus ihrer Erstarrung zu lösen vermocht hätte.
»Hoffentlich werde ich nicht auch irgendwann in so einem Laden enden«, sagte er.
»Tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber wenn du nicht langsam anfängst, mehr auf dein Gewicht und deine Gesundheit zu achten, kannst du die Gefahr, das entsprechende Alter überhaupt noch zu erreichen, relativ sicher ausschließen.«
Braun blickte Bendt strafend an. »Du hörst dich schon an wie meine Frau. Komm du mal erst in mein Alter«, schnaufte er, während sie sich zum Parkplatz begaben.
Die Hitze schlug Braun entgegen, als er die Beifahrertür öffnete. Widerwillig ließ er sich in dem heißen Ledersitz nieder. Bendt schaltete die Klimaanlage auf höchste Stufe.
»Versuchter Totschlag?«, fragte Bendt, während er losfuhr.
»Nee. Nur weil du mir garantiert eine Grippe verschaffst, indem du von 40 Grad auf 10 unter null runterkühlst, wird man dich wohl kaum drankriegen.«
Bendt grinste. »Mal im Ernst. Sie sagt, dass er ihr die Hand aufs Gesicht gepresst hat und wie ein Monster aussah. Wer weiß, vielleicht wollte er nur, dass sie den Mund hält, und hatte gar nicht vor, sie zu töten, und sie bildet sich das Ganze nur ein.«
»Die Schilderungen waren auf jeden Fall sehr diffus«, pflichtete Braun seinem Kollegen bei. »Wir werden sehen, wie die Staatsanwaltschaft das am Ende bewertet.« Er zweifelte daran, dass die
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