Gezeiten der Liebe
noch nicht mal gesehen. »Am Montag erledigen wir den Papierkram, dann bin ich wieder motorisiert.«
Nachdem sie Aubrey auf dem Kindersitz festgeschnallt hatte, stieg Grace vorn ein, während ihre Mutter sich ans Steuer setzte.
»Los, los, los, los, schnell, Gramma«, forderte Aubrey. Carol wurde rot, als Grace eine Braue hochzog.
»Du bist mal wieder zu schnell gefahren, wie?«
»Ich kenne diese Straßen wie meine Jackentasche, und ich habe in meinem ganzen Leben noch kein einziges Strafmandat kassiert.«
»Nur weil die Cops dich nie erwischen können.« Lachend befestigte Grace ihren Sicherheitsgurt.
»Wann kommt das jungvermählte Paar nach Hause?« Carol war nicht nur von Neugier getrieben, sie wollte auch von ihrer notorischen Schnellfahrerei ablenken.
»Ich glaube, sie treffen heute abend etwa gegen acht ein. Ich will noch mal kurz über die Böden gehen, und vielleicht koche ich auch eine Kleinigkeit, falls sie bei ihrer Ankunft Hunger haben sollten.«
»Ich kann mir vorstellen, daß Cams Frau sich darüber freuen wird. Was für eine wunderschöne Braut sie war! Ich habe nie eine hübschere gesehen. Wo sie dieses Kleid herbekommen hat, obwohl ihr Auserwählter ihr so wenig Zeit für die Hochzeitsvorbereitungen gelassen hat, ist mir ein Rätsel.«
»Seth sagt, sie wäre eigens nach Washington gefahren, und der Schleier gehörte ihrer Großmutter.«
»Wie schön. Ich habe meinen Hochzeitsschleier auch aufbewahrt. Immer habe ich mir vorgestellt, wie hübsch
du damit an deinem Hochzeitstag aussehen würdest ...« Sie brach ab und hätte sich am liebsten geohrfeigt.
»Im Bezirksgericht hätte er ein wenig fehl am Platz gewirkt.«
Carol seufzte, als sie in die Zufahrt der Quinns einbog. »Na ja, dann wirst du ihn eben das nächste Mal tragen.«
»Ich werde nie wieder heiraten. Für die Ehe bin nicht geschaffen.« Während ihre Mutter sie noch verdutzt anstarrte, stieg Grace schnell aus, dann beugte sie sich hinten ins Fenster und gab Aubrey einen Kuß. »Sei schön brav, hörst du? Und laß dich von Grandma nicht mit zu vielen Bonbons füttern.«
»Gramma hat Schokolade.«
»Als ob ich es nicht geahnt hätte! Tschüs, Kleines, tschüs, Mama. Danke.«
»Grace ...« Was konnte sie schon sagen? »Du ... du rufst doch an, wenn du hier fertig bist? Dann komme ich her und hole dich ab.«
»Mal sehen. Laß nicht zu, daß sie dir auf dem Kopf herumtanzt«, fügte Grace hinzu und eilte die Stufen hinauf.
Sie wußte, daß sie die Zeit gut gewählt hatte. Alle würden noch in der Bootswerkstatt sein. Zwar war sie entschlossen, wegen der Ereignisse von vorgestern nacht keine Verlegenheit aufkommen zu lassen. Doch ihre Unsicherheit war noch zu groß, und sie wollte etwas Zeit verstreichen lassen, ehe sie Ethan das nächstemal gegenübertrat.
Dieses Haus strahlte stets Wärme und Willkommen aus. Sich darum zu kümmern, beruhigte sie. Da sie wußte, daß ihr Entschluß, heute nachmittag hier sauberzumachen, zum großen Teil aus eigennützigen Motiven herrührte, gab sie sich noch mehr Mühe bei der Arbeit als sonst. Das Ergebnis würde aber das gleiche sein, dachte sie schuldbewußt, als sie mit dem alten Mop über die Hartholzböden ging, um das Wachs zum Glänzen zu bringen. Wenn Anna
zurückkam, würde sie ein makelloses Haus vorfinden, vom Duft frischer Blumen, Politur und Lavendel erfüllt.
Wenn eine Frau aus den Flitterwochen nach Hause kam, sollte sie nicht in Dreck und Unordnung ersticken müssen. und bei den Quinn-Männern fiel von beidem weiß Gott genug an.
Sie wurde hier gebraucht, das stand fest. Und das stellte sie jetzt nur unter Beweis.
Besonders lange machte sie sich im Schlafzimmer der beiden Frischvermählten zu schaffen. Sie arrangierte die Blumen, die sie Irene abgeschwatzt hatte, dann stellte sie zehnmal die Vase um, bevor sie über sich den Kopf schüttelte. Anna würde sie ohnehin dorthin stellen, wo es ihr am besten gefiel, sagte sie sich. Und vermutlich würde sie bei der Gelegenheit noch vieles andere ändern. Höchstwahrscheinlich würde sie lauter neue Sachen kaufen wollen, dachte Grace, als sie die Vorhänge bügelte, bis nicht die winzigste Falte den dünnen sommerlichen Stoff verunzierte.
Anna war in der Stadt aufgewachsen und hatte vermutlich nichts übrig für die abgenutzten Möbel mit dem ländlichen Akzent. Ehe man sich’s versah, würde sie alles in Leder und Glas umtauschen und all die hübschen Kleinigkeiten, die noch von Dr. Quinn stammten, in Kisten auf dem
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