Gezeiten der Liebe
zurückzog. Körperlich mochte er sich nicht von ihr entfernt haben, doch er distanzierte sich auf eine Weise, die deutlicher war als alle Worte.
»Ich bin froh, daß du heute nacht dort warst.« Sie wollte aufstehen, doch er kam ihr zuvor und bot ihr die Hand. Sie nahm sie, entschlossen, ihnen beiden jede weitere Peinlichkeit zu ersparen. »Ich hatte Angst, und ich weiß nicht, ob ich allein damit fertiggeworden wäre. Du bist ein guter Freund, Ethan, und ich bin dir dankbar für deine Hilfe.«
Er schob die Hände in die Taschen, um nicht den nächsten Fehler zu begehen. »Ich habe mit Dave über einen Ersatz für dein Auto gesprochen. Er kriegt bald zwei anständige Gebrauchtwagen rein.«
Da empörte Gegenrede zu gar nichts führen würde, lachte sie statt dessen. »Du verschwendest wirklich keine Zeit. Na schön, ich rede morgen mit ihm darüber.« Sie warf einen Blick zum Haus, wo das Verandalicht brannte. »Willst du mit reinkommen? Wir könnten deine Fingerknöchel mit Eis behandeln.«
»Der Typ hatte ein Kinn so weich wie Butter. Meinen Fingern fehlt nichts. Du mußt ins Bett.«
»Ja.« Wo sie sich allein herumwälzen würde, dachte sie. Und ihren unerfüllten Phantasien nachhängen konnte. »Am Samstag komme ich auf zwei Stunden vorbei. Nur um das Haus ein wenig durchzuputzen, bevor Cam und Anna eintreffen.«
»Das wäre schön. Wir würden uns freuen.«
»Na, dann gute Nacht.« Sie drehte sich um und ging über den Rasen aufs Haus zu.
Er wartete. Dabei sagte er sich, daß er sich nur davon überzeugen wollte, daß sie in Sicherheit war, bevor er wegfuhr. Aber im gleichen Moment wußte er, daß es eine Lüge, daß er pure Feigheit war. Er brauchte die räumliche Distanz um ihr eine Antwort auf ihre Frage zu geben.
»Grace?«
Flüchtig schloß sie die Augen. Sie wollte jetzt nur noch eins – ins Haus gehen, in ihr Bett kriechen und sich nach Herzenslust ausheulen. Seit Jahren hatte sie sich keinen richtig schönen Heulkrampf mehr gestattet. Aber dann drehte sie sich um und setzte mit Mühe ein Lächeln auf. »Ja?«
»Ich empfinde etwas für dich.« Trotz der Entfernung sah er, wie ihre Augen sich weiteten, sich verdunkelten, wie das verhaltene Lächeln sich verwischte und sie ihn nur anstarrte. »Ich will es nicht. Ich sage mir immer wieder, daß es nicht sein darf. Aber ich empfinde etwas für dich. Und jetzt geh rein«, fügte er sanft hinzu.
»Ethan ...«
»Geh jetzt. Es ist spät.« Es gelang ihr, den Türknopf zu drehen, hineinzugehen und die Tür hinter sich zu schließen. Doch dann lief sie blitzschnell zum Fenster, um zu beobachten, wie er in seinen Transporter stieg und losfuhr.
Es war spät, dachte sie mit einem Erschauern, in das sich Hoffnung mischte. Aber vielleicht noch nicht zu spät.
7. Kapitel
»Danke für deine Hilfe, Mama.«
»Für meine Hilfe?« Carol Monroe schüttelte den Kopf, als sie in die Knie ging, um die Schnürsenkel an Aubreys rosaroten Turnschuhen zuzubinden. »Dieses Zuckerstückchen hier für einen ganzen Nachmittag mit zu mir nach Hause zu nehmen, ist das pure Vergnügen.« Sie tippte Aubrey ans Kinn. »wir werden es uns so richtig schön gemütlich machen, nicht wahr, Schätzchen?«
Aubrey grinste. Sie kannte ihre Macht. Spielzeug! Wir brauchen Spielzeug, Gramma. Puppenbabys.«
»Und ob, mein Schatz. Es könnte sein, daß schon eine Überraschung auf dich wartet, wenn wir nachher bei mir ankommen.«
Aubreys große Augen funkelten. Sie holte tief Luft, stieß einen schrillen Freudenschrei aus, dann sprang sie vom Stuhl herunter und rannte durchs Haus – ihre Version eines Siegestanzes.
»Oh, Mama, nicht schon wieder eine neue Puppe. Du verwöhnst sie viel zu sehr.«
»Leider kann ich nicht anders«, sagte Carol fest und stemmte sich vom Boden ab, um sich aufzurichten. »Außerdem ist das mein Vorrecht als Großmutter.«
Da Aubrey mit Rennen und Schreien beschäftigt war, nahm Carol sich einen Moment Zeit, um ihre Tochter zu betrachten. Sie schläft nicht genug, wie gewöhnlich, dachte sie, als sie die dunklen Ringe unter Grace’ Augen bemerkte. Und ißt vermutlich wie ein Vögelchen – obwohl sie Grace’ Lieblingsgebäck, selbstgebackene Erdnußplätzchen, mitgebracht hatte, damit ihr das Mädchen nicht vollends vom Fleisch fiel.
Eine junge Frau von nicht einmal dreiundzwanzig Jahren sollte sich hin und wieder mal schminken, sich die Haare aufdrehen und abends ausgehen, um das Tanzbein zu schwingen, sich zu freuen, statt sich systematisch
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