Gezeiten der Liebe
mir will. Was soll ich tun, was erwartet er von mir?«
»Ich kann mir denken, daß er so lange bleibt, bis du es selbst herausgefunden hast.« Cam biß erstaunlich ruhig in das Sandwich. »Und, was hält er von unserem derzeitigen Projekt?«
»Er hält es für ein prachtvolles Boot.«
»Da hat er recht.«
Ethan betrachtete sein Sandwich. »Sollen wir Phil einweihen?«
»Nein. Allerdings kann ich’s kaum erwarten, bis die Reihe auch an ihn kommt. Was wettest du, daß sein erster Gedanke sein wird? Zu einem sündhaft teuren Psychoklempner zu gehen! Zu einem Szeneguru mit etlichen Titeln und einer Praxis im richtigen Stadtviertel, versteht sich. Darunter macht er’s nicht.«
»Es muß eine Sie sein«, ergänzte Ethan lächelnd. »Wenn er sich schon auf eine Couch legen muß, dann nur bei einer hübschen Frau. Schöner Tag heute«, fügte er hinzu, als er plötzlich die warme Brise und den Sonnenschein registrierte.
»Du hast noch zehn Minuten, um dir die Sonne auf den Buckel scheinen zu lassen«, sagte Cam zu ihm. »Dann schwingst du deinen Hintern gefälligst wieder in die Werkstatt und arbeitest.«
»Ja. Deine Frau macht verflixt gute Sandwiches.« Er legte den Kopf schief. »Was meinst du, wie sie sich beim Schleifen von Holz anstellen würde?«
Cam dachte nach; die Idee gefiel ihm. »Das sollten wir mal ausprobieren. Gehen wir zu ihr und zwingen wir sie, es uns zu zeigen.«
9. Kapitel
Anna freute sich, weil sie den Nachmittag frei hatte. Aber sie liebte ihren Job, sie mochte und respektierte die Leute, mit denen sie zusammenarbeitete. Zudem glaubte sie felsenfest an den Nutzen und die Ziele der Sozialarbeit. Und es befriedigte sie zu wissen, daß sie etwas bewegte.
Sie half anderen Menschen. Der jungen, alleinerziehenden Mutter, die sich an niemanden wenden konnte; dem ungewollten Kind; den abgeschobenen Alten. Angetrieben wurde sie von dem glühenden Wunsch, Hilfsbedürftige dabei zu unterstützen, ihren eigenen Weg zu finden. Sie wußte genau, wie es war, sich einsam zu fühlen, verzweifelt zu sein – und was ein Mensch, der seine Hand bot, der sich weigerte, die Hand wegzuziehen, selbst wenn man sie schlug, zu bewirken vermochte.
Und weil sie fest entschlossen gewesen war, Seth De-Lauter zu helfen, hatte sie Cam gefunden. Ein neues Leben, ein neues Zuhause. Ein Neubeginn.
Manchmal wurde man vom Leben hundertfach belohnt, dachte sie. Alles, was sie sich jemals erträumt hatte selbst als ihr noch nicht bewußt war, was sie sich erträumte war in dem schönen alten Haus am Wasser verkörpert. Ein weißes Haus mit blauen Verzierungen. Schaukelstühle auf der Veranda, Blumen im Garten. Sie erinnerte sich an den Tag, als sie es zum ersten Mal erblickt hatte. Sie war eben diese Straße entlanggefahren, das Radio zu voller Lautstärke aufgedreht. Im Unterschied zu heute hatte sie das Verdeck damals geschlossen, damit der Wind nicht die Klammern in ihrem Haar löste.
Damals war sie beruflich unterwegs gewesen und deshalb entschlossen, streng professionell aufzutreten.
Das hübsche zweistöckige Haus am Wasser hatte sie auf Anhieb bezaubert, durch seine Schlichtheit und die Beständigkeit, die es ausstrahlte. Dann hatte sie es umrundet und war im Garten auf einen erbosten, unkooperativen und sexy Mann gestoßen, der dort die Verandastufen reparierte.
Seitdem hatte sich alles für sie verändert.
Gott sei Dank.
Es war jetzt ihr Haus, dachte sie und lächelte selbstgefällig, während sie schnell die Straße entlang fuhr, die von breiten, flachen Feldern flankiert wurde. Ihr Haus auf dem Land, mit dem Garten, den sie sich immer vorgestellt hatte ... und dem erbosten, unkooperativen, sexy Mann. Er gehörte jetzt auch zu ihr, und noch so vieles mehr, was sie sich niemals hätte träumen lassen.
Sie fuhr die lange, gerade Straße entlang, begleitet von der Stimme Warren Zevons, der von Werwölfen in London heulte. Diesmal war es ihr egal, ob der Wind ihr vorher so ordentlich aufgestecktes Haar durcheinanderbrachte. Sie fuhr nach Hause, deshalb war das Verdeck heruntergeklappt und deshalb war sie bester Stimmung.
Auf sie wartete zwar noch Arbeit, aber den Berichten, die sie noch ergänzen mußte, konnte sie ebensogut zu Hause an ihrem Laptop den letzten Schliff geben. Während ihre rote Spezialsauce auf dem Herd köchelte, entschied sie. Sie würde Linguini zubereiten, um Cam an ihre Flitterwochen zu erinnern.
Nicht, daß es einer Gedächtnisstütze bedurft hätte – auch wenn sie jetzt wieder in
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