Gezeiten der Liebe
Holz langsam und vorsichtig, als er den Mast formte. Die Ohrenschützer schwächten das Summen des Motors und den harten Rock, der aus dem Radio dröhnte, zu einem gedämpften Echo ab.
Er vermutete, daß hinter ihm ein Gespräch im Gange war. Und daß hin und wieder ein saftiger Fluch fiel. Wie immer konnte er den süßen Duft des Holzes riechen, den scharfen Harzleim, den Gestank des Teers, der zum Verkleiden der Bolzen benutzt wurde.
Vor Jahren hatten sie in Gemeinschaftsarbeit seinen Kutter gebaut. Er war nicht besonders raffiniert, und man konnte auch nicht behaupten, daß er hübsch aussah, aber er war zuverlässig, ein gutes Arbeitspferd. Seine Skipjack stammte ebenfalls von ihnen, da er die Austernfischerei in traditionellem Stil hatte betreiben wollen. Inzwischen gab es fast keine Austern mehr, und sein Boot lag mit einer Handvoll anderer seines Typs in der Bucht vor Anker, wo es im Sommer zu Rundfahrten für Touristen benutzt wurde.
Während der Saison vermietete er es an Jims Bruder, der ihm einen Anteil zahlte. Aber es störte ihn, es auf diese Weise zweckzuentfremden. Genauso wie ihn der Gedanke störte, daß fremde Leute in dem Haus lebten und schliefen, das ihm gehörte.
Nun, wenn es hart auf hart kam, zählte jeder Cent. Seth’ Lachen drang durch seine Ohrenschützer und erinnerte ihn daran, warum Geld jetzt wichtiger war denn je.
Als seine Hände von der Arbeit taub wurden, schaltete er die Drehbank ab, um auszuruhen. Lärm drang auf ihn ein, als er die Ohrenschützer abnahm.
Er konnte Cams Hammerschläge unter Deck hören. Seth bepinselte das Kielschwert mit Rostschutzmittel; die Stahlplatte glänzte feucht. Phillip hatte die unangenehme Aufgabe übernommen, den Hohlraum des Kielschwerts mit Kreosot zu streichen. Es bestand aus guter, alter Roter Zeder, deren Gift eigentlich genug Abschreckung für jeden Meeresschädling sein sollte, aber sie hatten beschlossen, nicht das kleinste Risiko einzugehen.
Ein Quinn-Boot wurde für die Ewigkeit gebaut.
Stolz erfüllte ihn beim Anblick seiner Brüder, und er konnte sich beinahe vorstellen, daß sein Vater neben ihm stand, die großen Hände in die Hüften gestemmt und ein strahlendes Lächeln auf den Lippen.
»Das ist ein schönes Bild«, sagte Ray. »Wie die Fotos, die eure Mutter und ich uns so gern angesehen haben. Wir hatten etliche weggelegt, um sie später, wenn ihr alle erwachsen sein und eigene Wege gehen würdet, hervorzuholen und uns in Erinnerungen zu ergehen. Leider sind wir nie dazu gekommen, weil sie als erste gestorben ist.«
»Sie fehlt mir.«
»Ich weiß. Sie war der Leim, der uns alle zusammengehalten hat. Aber sie hat ihre Sache sehr gut gemacht, Ethan. Ihr haltet immer noch zusammen wie Pech und Schwefel.«
»Ich glaube, ohne sie, ohne dich, wäre ich gestorben. Ohne die zwei da.«
»Nein.« Ray legte die Hand auf Ethans Schulter und schüttelte den Kopf. »Du warst immer schon stark; du hattest ein starkes Herz und viel Verstand. Du bist der Hölle entronnen, und das nicht nur durch unsere Hilfe, sondern auch durch deine innere Kraft. Das solltest du dir öfter in Erinnerung rufen. Schau dir Seth an. Er geht zwar ganz anders damit um als du damals, aber er ist dir in vielem sehr ähnlich. Er hat starke Gefühle, stärkere Gefühle als ihm lieb ist. Er denkt gründlicher nach, als er es sich anmerken läßt. Und seine Träume reichen weiter, als er es sich selbst einzugestehen wagt.«
»Ich sehe dich in ihm.« Zum ersten Mal sprach Ethan es laut aus. »Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.«
»Komisch, ich sehe jeden einzelnen von euch in ihm. Das Auge des Betrachters, Ethan.« Dann schlug er Ethan freundschaftlich auf den Rücken. »Ein prachtvolles Boot, das ihr da baut. Deine Mutter hätte ihre helle Freude daran gehabt.«
»Die Quinns bauen für die Ewigkeit«, murmelte Ethan.
»Mit wem redest du da?« wollte Seth wissen.
Ethan blinzelte. Ihm war schwindelig; sein Kopf war angefüllt mit Gedanken, die ihm jedoch entglitten, sobald er sie zu fassen versuchte. »Was?« Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, ins Haar und schob dabei unwillentlich seine Mütze zurück. »Was?«
»Mann, siehst du komisch aus.« Fasziniert legte Seth den Kopf auf die Seite. »Wie kommt es, daß du so dastehst und Selbstgespräche führst?«
»Ich war...« Im Stehen eingeschlafen? dachte er. »In Gedanken«, sagte er. »Hab’ bloß laut nachgedacht.« Plötzlich schwollen der Lärm und die Gerüche in seinem wirren
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