Gezeiten der Liebe
Lebensunterhalt damit, sich in das Leben anderer Leute einzumischen.«
»Ich helfe Leuten, die Hilfe benötigen«, sagte sie und schaltete den Herd ein. »Und ihr beide habt weiß Gott Hilfe gebraucht.« Sie kreischte auf, als er die Hand auf ihre Schulter legte, weil sie dachte, daß er sie schütteln wollte, deshalb blinzelte sie überrascht, als er sie auf die Wange küßte.
»Ich bin dir dankbar für die Einmischung.«
»Wirklich?«
»Nicht, daß ich es auf eine Neuauflage abgesehen hätte, aber dieses eine Mal bin ich dir dankbar.«
»Sie macht dich glücklich.« Anna blickte ihn verträumt an. »Das sehe ich.«
»Wir werden sehen, wie lange ich sie glücklich machen kann.«
»Ethan . . .«
»Laß es bitte so stehen.« Er gab ihr noch einen Kuß, sowohl aus Zuneigung als auch zur Warnung. »Bis auf weiteres keine großen Pläne.«
»Na gut.« Aber ihr Lächeln blühte auf. »Grace arbeitet heute abend im Pub, nicht wahr?«
»Ja. Und damit du dir nicht die Zunge zerbeißen mußt, um dir die Frage zu verkneifen – ja, ich habe vor, nach dem Abendessen dorthin zu fahren.«
»Gut.« Hochzufrieden machte Anna sich an die Arbeit. »Dann gibt’s bald Essen.«
12. Kapitel
Es war so, als träume man, obwohl man gar nicht schlief, dachte Grace. Man wußte nicht, wie es weiterging, und doch wußte man, daß es wunderschön sein würde. Als befände man sich in einer zwar vertrauten Welt, die jedoch vom Glanz freudiger Erwartung durchgströmt war.
Ihre Tage und Abende waren immer noch mit Arbeit angefüllt, mit Pflichten, kleinen Freuden und kleinen Ärgernissen. Doch zur Zeit, im ersten Taumel ihrer Liebe, erschienen ihr die Freuden riesengroß und die Ärgernisse minimal.
Alles, was sie jemals über die Liebe gelesen hatte, traf zu. Wenn man liebte, schien die Sonne heller, die Luft roch frischer. Die Blumen waren bunter, der Gesang der Vögel melodischer. Alle Klischees wurden wahr.
Sie tauschten verstohlene Liebkosungen aus – eine Umarmung draußen vor dem Pub in der Pause, nach der sie zitternd und entrückt wieder hineinging. Nachts im Bett lag sie lange Zeit wach und konnte nicht einschlafen. Ein inniger gefühlvoller Blick, wenn sie sich im Haus der Quinns aufhielt, bis er kam. Sie befand sich unablässig in einem Zustand der Erwartung, der sich steigernden Sehnsucht, jetzt, da sie wußte, wie schön alles sein konnte.
Wie schön es bald wieder sein würde.
Sie wollte ihn berühren und von ihm berührt werden, die köstliche Reise zu höchster Lust und Leidenschaft wiederholen. Doch Hand in Hand mit der Sehnsucht ging immer wieder die Enttäuschung, weil das Leben ihre Träume durchkreuzte.
Es blieb nie genug Zeit, um mit ihm allein zu sein, um einfach und unbesorgt zu leben.
Sie fragte sich oft, ob Ethan das gleiche drängende, quälende verlangen empfand wie sie. Oder lag es an ihr – an einer ihr bislang verborgenen sexuellen Unersättlichkeit? Wenn es so war – sollte sie sich darüber freuen oder sich schämen?
Fest stand, daß sie ihn mit aller Macht begehrte und daß dieses Begehren mit jedem Tag, der in eine einsame Nacht mündete, wuchs. Ob er schockiert wäre, wenn er es wüßte?
Aber sie machte sich völlig umsonst solche Sorgen.
Er konnte nur hoffen, daß er den Zeitpunkt richtig gewählt hatte, daß der Vorwand, den er Jim aufgetischt hatte, um den Fang in den Hafen zu bringen, noch bevor sie alle Fallen abgefahren hatten, nicht allzu durchsichtig war. Aber er wollte sich nicht mit Gewissensbissen quälen, sagte Ethan sich entschlossen, als er sein Boot am Anlegesteg vertäute.
Heute abend würde er eine Extraschicht in der Bootswerkstatt einlegen, um wieder gut zu machen, daß er Cam am Nachmittag allein gelassen hatte. Wenn er nicht wenigstens eine Stunde mit Grace zusammensein konnte, nicht wenigstens einen Bruchteil des Drucks loswerden konnte, der sich stetig in ihm aufbaute, würde er noch den Verstand verlieren. Und würde zu gar nichts mehr taugen.
Falls sie schon mit der Arbeit fertig war und das Haus verlassen hatte, wollte er eben nach ihr suchen. Er hatte noch genug Selbstkontrolle übrig, um sie nicht zu erschrecken oder zu schockieren, konnte es aber keinen Tag länger ohne sie aushalten.
Auf sein Gesicht trat ein strahlendes Lächeln, als er durch die Hintertür hereinkam und sah, daß das Chaos vom Morgen noch nicht beseitigt war. Die Waschmaschine rumpelte in der Waschküche. Grace war also noch da. Er ging gleich weiter ins Wohnzimmer, um dort nach
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