Gezeiten der Liebe
der Junge einen tollen rechten Haken hatte. Aber im Augenblick brauchte er all seine Konzentration, um Seth festzuhalten.
»Ich bring dich um! Du Scheißkerl, ich bring dich um, sobald ich die Gelegenheit dazu habe.« Er wand sich, kämpfte und wartete auf die Schläge, die auf ihn niederprasseln würden.
»Halt mal die Luft an.« Verärgert, weil die schweißnassen Arme des Jungen ihm immer wieder entglitten, schüttelte Ethan ihn kurz. »So kommst du nicht weiter. Ich bin größer als du, und ich werde dich einfach in die Mangel nehmen, bis dir die Puste ausgeht.«
»Nimm deine Hände weg.« Seth biß die Zähne zusammen. »Du Sohn einer Hure«, zischte er.
Dieser Schlag war noch wirkungsvoller und besser gezielt als der Fausthieb. Ethan hielt den Atem an und nickte langsam. »Ja, das bin ich. Und das ist der Grund, warum du und ich, warum wir beide uns kennen. Du kannst ruhig weglaufen, wenn ich dich loslasse, Seth. Du kannst mich ruhig mit Dreck bewerfen. Genau das erwarten die Menschen von Söhnen einer Hure. Obwohl ich glaube, daß das unter deinem Niveau ist.«
Ethan ließ von ihm ab, kauerte sich auf den Boden und wischte sich das Blut vom Mund. »Das ist das zweite Mal, daß du mir ins Gesicht geschlagen hast. Wenn du das noch mal tust, werde ich dir den Hintern versohlen, bis du nicht mehr sitzen kannst.«
»Ich hasse dich!«
»Gut. Aber dann solltest du mich auch aus dem richtigen Grund hassen.«
»Du wolltest doch bloß, daß sie die Beine für dich breitmacht, und sie hat dir den Gefallen getan.«
»Moment mal.« Blitzschnell packte Ethan ihn am Shirt und zog ihn hoch, bis er kniete. »Sprich nicht in diesem Ton von Grace, ja? Du warst klug genug, auf Anhieb zu sehen, was für ein wertvoller Mensch sie ist. Deshalb hast du ihr vertraut, deshalb hast du sie gern gehabt.«
»Sie ist mir scheißegal«, behauptete Seth und mußte
schwer schlucken, bevor ihm heiße Tränen aus den Augen quollen.
»Wenn das stimmte, wärst du nicht so wütend auf uns beide. Du hättest nicht das Gefühl, daß wir dich im Stich gelassen haben.«
Er ließ Seth los und fuhr sich mit den Händen übers Gesicht. Ihm war klar, wie ungeschickt er sich oft anstellte, wenn er über Gefühle reden sollte. Vor allem über seine eigenen. »Ich will ganz offen mit dir sein.« Er ließ die Hände sinken. »Du hast recht in dem Punkt, was geschehen ist, als du nach Hause kamst. Aber in dem Punkt, was es zu bedeuten hatte, hast du unrecht.«
Seth, zitternde Lippen verzogen sich höhnisch. »Ich weiß, was Bumsen bedeutet.«
»Ja, du kennst dich aus mit häßlichen Geräuschen im Nebenzimmer, mit verstohlenem Gefummel im Dunkeln, säuerlichem Geruch, Geld, das den Besitzer wechselt.«
»Daß du sie nicht dafür bezahlt hast, heißt noch lange nicht ...«
»Sei ruhig«, sagte Ethan geduldig. »Früher dachte ich auch, daß es nur das wäre, daß es nur so ginge. Grob und herzlos, sogar manchmal brutal und unmenschlich. Du willst vom anderen haben, was du kriegen kannst, ohne Rücksicht auf Verluste. Die pure Selbstsucht. Du erleichterst dich, ziehst die Hose wieder hoch und gehst weg. Nun, auch das ist nicht immer falsch. Wenn es beiden nichts ausmacht, wenn man auf diese Weise die Nacht übersteht, ist es nicht immer falsch. Aber es geht auch anders, und der beste Weg ist es auf keinen Fall.«
Er erinnerte sich daran, daß er gehofft hatte, ein anderer würde dem Jungen zu gegebener Zeit all diese Dinge erklären müssen. Aber es schien, als sei dieser Zeitpunkt jetzt gekommen, und das Los fiel eben auf ihn.
Er konnte es nicht lächelnd und mit einem Augenzwinkern erklären, so wie Cam es vielleicht getan hätte; und
auch nicht so glatt und redegewandt wie Phillip. Er konnte nur aus dem Herzen sprechen und hoffen, daß er den richtigen Ton traf.
»Sex kann genauso sein wie Essen. Mal stillt man einfach nur den Hunger. Manchmal bezahlt man für eine Mahlzeit, manchmal tauscht man etwas dagegen, und wenn es fair zugeht, gibst du genausoviel, wie du nimmst.«
»Sex ist immer Sex. Die Leute erfinden bloß schöne Geschichten darüber, um Bücher und Filme an den Mann zu bringen.«
»Meinst du, das ist alles, was auch Anna und Cam verbindet?«
Seth zuckte ein paarmal mit den Schultern, kam jedoch ins Nachdenken.
»Die beiden verbindet etwas Wichtiges, Dauerhaftes, eine Basis, auf der sie ein gemeinsames Leben aufbauen können. Nicht das, womit du aufgewachsen bist oder womit ich den ersten Teil meines Lebens zugebracht
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