Gezeiten des Krieges
Bürgerrechte, die sie sich unter der Fahne der Konföderation erworben hatten, mussten sie sich mit einer Unterstützung der Republik neu verdienen. Hinzu kam Stones Umsiedlungsprogramm, das zahlreiche nicht-capellanische Gemeinschaften auf Liao etablierte. Und es wird deutlich, warum mancher sagen würde, wir hatten keine Wahl. Doch wir hatten sie.«
Aber war es die richtige Wahl? Die Frage stand im Raum, auch ohne dass Mai Wa sie aussprach.
»Und nun zum versteckten Kontext Ihrer Frage, den Sie nicht beabsichtigten, den ich aber dennoch versuchen werde zu beantworten. Sie fragten, warum die Menschen Liaos die Republik angenommen haben. Ich frage zurück: Haben sie das denn?« Stille. Sein Blick glitt über die Zuhörerschaft. »Haben Sie?«, fragte er.
»Wie viele von Ihnen haben die Republik und alles Gute, das sie Liao gebracht hat, wirklich angenommen? Wie viele von Ihnen widersetzen sich immer noch, jeder auf seine Weise, wo Sie nur können? Ich fordere Sie auf, für sich selbst zu beantworten, was es bedeutet, Capellaner zu sein. Doch das«, sag-te er mit einem Schulterzucken, für ihn eine geradezu überbordende Geste, »ist eine Diskussion für eine andere Gelegenheit. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.«
Evan blieb sitzen, die meisten anderen Studenten aber standen auf und applaudierten. Ein paar Dutzend Studenten drängten sich um den Gastdozenten, während der Rest, lebhaft debattierend, den Hörsaal verließ, bereit, die Lektion des Tages mit weniger begeisterten Freunden auf dem ganzen Campus zu teilen. Evan bemerkte, dass Hahn sich Mai Wa vorstellte und ihm eine Visitenkarte zusteckte. Jenna, die den Capellaner schon vorher in weniger begeisternden Umständen kennen gelernt hatte, hielt sich zurück.
Schließlich schlossen sich die Freunde dem Strom der abziehenden Studenten an und Evan nickte ihnen zu, blieb aber selbst noch im Hörsaal. Mai Wa kam die Treppe herauf, bescheiden, wie nur er es sein konnte.
»Was meinst du?«
Evan weigerte sich, Zustimmung auszudrücken, fühlte sich aber doch genötigt, seinen alten Lehrer zu warnen. »Ich vermute, dass man morgen Ihre Vergangenheit durchleuchten wird.«
»Sollen sie ruhig. Sie werden im Kreis laufen.«
»Aber wie lange?«
»Lange genug.«
Da war es wieder, das unausgesprochene Versprechen auf die Zukunft. Evan erinnerte sich von früher daran. Er erinnerte sich auch daran, wie es ausgegangen war, dass Mai Wa sie im Stich gelassen hatte, als sie einen starken Anführer am nötigsten hatten. »Ich vertraue Ihnen noch immer nicht.«
»Das solltest du auch nicht. Ich habe dir keinen Anlass dazu gegeben.« Noch nicht. Auch das blieb unausgesprochen, doch Evan hörte es mitschwingen.
»Wenn Sie uns die Behörden auf den Hals holen ... « Er brauchte nicht weiterzureden. Die Drohung war deutlich. Hatte Mai ihm die Regeln nicht selbst beigebracht?
»Waffenstillstand, Evan. Mehr verlange ich nicht. Falls du Kontakt mit mir aufnehmen musst...« Sein Blick glitt zur Seite, die Treppe hinab zu Professor Rogers. »Ich nehme an, du weißt, wie.« Er streckte die Hand aus.
Evan ergriff sie. Zögernd. Der Händedruck besiegelte keine Freundschaft, doch er drückte eine Übereinkunft aus. Einen Waffenstillstand, wie es Mai Uhn Wa ausgedrückt hatte. Evan wollte keine Hilfe von dem alten Mann und was immer Mai auch wollte, er verlangte nicht mehr. Noch nicht.
Im Auge des Orkans
»Zwei feindliche Landungsschiffe haben in der vergangenen Nacht den Luftraum Liaos verletzt und sind mit hohem Schub über den Kontinenten Nanlu und Beilu herabgestoßen. Unserer Überzeugung nach handelte es sich um einen Erkundungsvorstoß durch die 2. McCar-ron's Armored Cavalry, dieselbe Einheit, die derzeit den Angriff auf Gan Singh leitet. Offenbar bereitet die Konföderation eine weitere Angriffswelle vor. Fragen?«
Legat Viktor Ruskov, Pressekonferenz,
8. Juni 3134
Xiapu, Provinz Huang-yu, Liao Präfektur V, Republik der Sphäre
9. Juni 3134
Ritter Michaelson saß auf einer Eridani-Stute. Er war kein geborener Reiter, nach mehreren Wochen aber kam er langsam klar. Er verlagerte vorsichtig das Gewicht, um das Tier nicht zu verschrecken. Ihr leichter Schritt schaukelte ihn gemächlich vor und zurück, vor und zurück, doch er war nicht so dumm, sich davon einlullen zu lassen. Die Stute hatte sich bereits als ebenso stolz und eigensinnig erwiesen, wie es für diese Rasse typisch war. Auf dem morgendlichen Ausritt war sie plötzlich losgeschossen und einige Kilometer
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