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Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Titel: Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frl. Krise
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müsste.
    Weihnachtsstimmung? Der Julklapp verlief chaotisch, Christoph und Marco schlugen sich wegen eines Geschenks, und Carmen weinte, weil in ihrem Päckchen nur ein paar zerdrückte Dominosteine lagen. Keiner wollte singen, und bei jedem Spiel gabt es Zank und Streit.
    Am Ende geriet das Aufräumen zur Zerreißprobe. Ich war restlos bedient. Es klingelte, und alle verschwanden sang- und klanglos. Ich ging nicht einmal mehr ins Lehrerzimmer, sondern fuhr sofort nach Hause.
    In meiner Küche setzte ich mich an den Tisch. Tränen liefen mir über das Gesicht. So eine schlechte, unfähige Lehrerin war ich! Nicht einmal eine doofe Weihnachtsfeier klappt bei mir, dachte ich. Alle, alle Probleme und Enttäuschungen der letzten Zeit stiegen geballt in mir auf. Ich war doch immer gern an meiner Schule gewesen, aber auf einmal mochte ich nicht mehr. Die Klasse, die Kollegen, die Schulleitung – alles erschien in einem dunklen Licht. Plötzlich war Schluss! Zwanzig Jahre … genug! Jetzt musste einfach ein Wechsel her!
    Ich schüttete einen großen Cognac auf ex hinunter. Was war los mit mir? Ich trank noch einen und noch einen und fühlte mich immer schlechter. Vor allem tat ich mir sehr leid. Hatte ich das verdient? So eine Weihnachtsfeier? Schließlich hatte ich mich doch immer so reingehängt … Der Alkohol gab meiner schlechten Stimmung den Rest, aber ich war schon nicht mehr in der Lage, das noch zu sehen.
    Überraschend kamen drei Freundinnen zu Besuch. Sie wollten gemütlich Kaffee mit mir trinken und den Ferienbeginn feiern. Aber ich konnte nicht feiern und Kaffee trinken. Ich musste weinen und weinen und einen Cognac nach dem anderen hinunterkippen.
    «Ich lasse mich versetzen», schluchzte ich. «Ich geh da nie wieder hin!»
    Meine Freundinnen trösteten mich, redeten mir gut zu, bestärkten mich und machten große Pläne für meine Zukunft.
    Irgendwann gegen Abend – meine Tränendrüsen waren leer, die Flasche auch und ich voll wie eine Haubitze – brachten sie mich ins Bett.
    Nach den Ferien ging ich sofort zum Schulrat. Der fackelte nicht lange. Zum nächsten Schuljahr war ich versetzt – an die große integrierte Franca-Magnani-Gesamtschule am Stadtrand.

Traumberuf
    Der Sachbearbeiter der Adoptionsabteilung wiegt den Kopf. Er putzt sich die Nase mit einer kleinen türkischen Fahne. «Hm», sagt er und sieht mich zweifelnd an. Warum geht der nicht raus zum Naseputzen? Ich rege mich auf. Keine Manieren hat der Mann. Keiner meiner Schüler würde sich so vor mir die Nase putzen. Überhaupt, was denkt sich dieser Mensch? Könnte der wohl mal mit mir reden, statt nur in dieser komischen Akte zu blättern?
    «Prinzipiell», nuschelt er jetzt und macht eine bedeutungsschwangere Pause, «prinzipiell sind Sie …»
    Das Telefon klingelt.
    Er nimmt den Hörer ab, ohne mich dabei aus den Augen zu lassen.
    «Neurologie, Männerstation, Borowski», meldet er sich vorschriftsmäßig und setzt sich bolzengerade hin.
    Ich wundere mich, wie förmlich der sein kann.
    Borowski bückt sich nach vorne, sein Taschentuch liegt auf einmal auf dem Boden. Er will es aufheben. Drei Fieberthermometer fallen dabei aus der Brusttasche seines weißen Dienstkasacks, aber sie gehen zum Glück nicht kaputt; eine schöne Sauerei wäre das sonst mit dem Quecksilber. Typisch, dass die Adoptionsstelle noch diese altmodischen Thermometer hat, denke ich. Ich hebe sie auf und lege sie vorsichtig in meine kleine hellblaue Handtasche.
    «Ja, Herr Professor», sagt Borowski jetzt untertänig, «ja, die ist hier, Moment mal bitte …»
    Er reicht mir den Hörer. Auch das noch.
    «Schwester Krise, schönen guten Morgen!»
    Ich frage mich, was das alles soll. Was will der Professor? Ich wollte die Thermometer ja schließlich nicht klauen.
    «Waffenschmidt hier», posaunt der Professor. «Schwester Krise, ich habe gehört, Sie wollen uns verlassen? Wie kommen Sie denn auf den Schwachsinn? Und weshalb wollen Sie eine ganze Klasse adoptieren? Schnapsidee so was. Sie sind doch auch nicht mehr die Jüngste. Bleiben Sie mal schön bei uns im Nachtdienst. Einundzwanzig Nächte Dienst, zehn Nächte frei – von 20 bis 24 Uhr Unterricht, danach leichte Sitzwachen, was wollen Sie noch mehr? Und die Neurologie-Männerstation ist ein sehr angenehmer Arbeitsplatz. Mit dem Borowski sozusagen als Stationspfleger …»
    «Schon», hauche ich und drehe mich um, damit der blöde Borowski mir nicht mehr ins Gesicht gucken kann. «Aber das ist es ja, Herr

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