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Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel

Titel: Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frl. Krise
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Stille, dann mörderisches Geschrei, dann trampeln sie nacheinander wieder herein.
    «War … so … Kleine … aus Sieben», schnauft Fuat und schmeißt sich auf seinen Stuhl.
    «Ham sie erwischt», keucht Rahim.
    «Das machen die nie wieder», kreischt Hanna, und Nesrin hustet vor Anstrengung und würgt dann ein «Hab einen gewaschen mit sein eigenen Schnee!» hervor.
    «Gut, gut», sage ich erfreut. An sich bin ich ja nicht für Selbstjustiz, aber das war das dritte Mal seit gestern, dass so eine Schneebombe bei uns reinplatzte. Langsam reicht’s.
    «Nächstens rennt ihr aber nicht einfach so raus, ohne zu fragen», füge ich anstandshalber hinzu.
    «Frl. Krise», sagt Gülten und schüttelt missbilligend den Kopf, «Sie müssen sich auch was vornehmen, am besten schreiben Sie: ‹Ich überleg mir, was ich will!›»

Gleitzeit
    Nevsat kommt jeden Morgen zu spät. Statt um acht Uhr betritt er Punkt acht Uhr zehn den Klassenraum. Man kann die Uhr nach ihm stellen.
    «Wenn du jeden Tag pünktlich zu spät kommst, kannst du doch auch pünktlich pünktlich kommen», halte ich ihm erfolglos entgegen.
    Dieser Satz verblüfft meine Schüler schon seit Jahrzehnten. Allerdings musste ich ihn nie so häufig sagen wie in den letzten Jahren. Schon immer gab es Schüler, die sich morgens gerade noch mit dem Klingeln hereinmogelten oder auch ein paar Minuten verspätet in den Klassenraum huschten. Aber heute kommen unsere Schüler nicht nur zur ersten, sondern einfach zu jeder Stunde zu spät.
    Die wachsende Unpünktlichkeit der Schüler führte übrigens merkwürdigerweise dazu, dass die Lehrer immer pünktlicher wurden. Ging man in den Siebzigern erst nach dem zweiten Klingeln geruhsam zum Unterricht los und rauchte auf jeden Fall unterwegs noch seine Ernte 23 (Frau Horn) oder Camel (ich) zu Ende (die Kippe wurde lässig auf dem äußeren Fensterbrett des Flurfensters ausgedrückt), so stürzen die Kollegen heute teilweise schon weit vor dem ersten Klingeln aus dem Lehrerzimmer.
    Sie sagen: «Das gute Vorbild ist wichtig! Und die Schüler müssen wissen, dass man sie erwartet! Sie sollen merken, dass sie zu spät kommen! Sonst kommen sie womöglich gar nicht!»
    Früher warteten die Schüler auf den Lehrer, in alten Filmen sieht das so aus: Die Tür wird aufgerissen, der Lehrer positioniert sich für einen Moment im Türrahmen. Seine Blicke schweifen durch den Raum. Die Schüler flitzen auf ihre Plätze. Dann, während der Lehrkörper gemessen zum Pult schreitet und dort seine Tasche deponiert, erfolgt kollektives Aufstehen.
    Zackiges «Guten Morgen, 9a!».
    Leieriges «Gutenmorgen Herr Teschner …».
    Heute zelebrieren andere den großen Auftritt: Die Tür wird aufgerissen, der Schüler verweilt einen Moment im Türrahmen, nuschelt etwas, das sich im besten Fall wie «Tgung, vschlafn …» anhört, küsst sich dann durch die Klasse, dreimal bei jedem, rechtlinksrechts, das dauert, und so weiter und so weiter.
    Kaum hat sich der Verspätete umständlich niedergelassen, wird die Tür aufgerissen – und alles geht von vorne los.

Wenn der Julklapp klappt
    «Frl. Krise, in den ersten Stunden waren Turgut, Rahim und Fuat nicht da», sagt Frau Süß in der Pause. Sie unterrichtet einen Teil meiner Kapalken in Chemie. «Herrlich! Die anderen haben zwar auch nicht mehr viel gemacht, aber wenigstens hat keiner gestresst.»
    Kunststück! Heute ist der letzte Schultag vor den Weihnachtsferien. Da arbeitet wohl keine Klasse mehr regulär, denke ich. Dabei schwant mir nichts Gutes: Bestimmt geht das mit den Geschenken beim Julklapp nicht auf. Zur Weihnachtsfeier müssen doch alle Kinderlein kommen!
    Kurz vor dem Klingeln laufe ich mit Karl nach oben in unseren Klassenraum. Als Überraschung hieven wir den voll geschmückten großen Weihnachtsbaum, der jedes Jahr im Kunstsaal steht, rüber in unseren Klassenraum. Da stürmt auch schon die ganze Klasse in bester Stimmung die Treppe herauf … Und siehe da: Keiner stöhnt und jammert, und sogar die verlorenen Söhne sind dabei.
    «Ohhh, ein Tannenbaum … voll schöööön … Warum machen wir nicht immer so?» Aynur und die anderen Mädchen sind von der Deko begeistert. Die Jungen interessieren sich mehr für die Fressalien.
    Ratzfatz sind die Tische zu kleinen Gruppen zusammengeschoben und gedeckt, ist ein kleines Büfett aus den mitgebrachten Sachen aufgebaut – wie kommt’s, dass die auf einmal so schnell sein können? Die Geschenke liegen unterm Weihnachtsbaum, die

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