Ghetto-Oma: Ein Leben mit dem Rücken zur Tafel
killer» und sogar die Namen (Marvin und Sascha) und die Handy-Nummer der Täter. Und sie wollen SOFORT Yvonne sprechen.
Ich lehne das ab, verspreche aber, mich um die Angelegenheit zu kümmern. Ich empfehle eine Anzeige bei der Polizei und verweise auf den Unterricht, den ich jetzt habe – bin schon viel zu spät –, und renne weiter.
Am nächsten Tag spreche ich mit Yvonne. Die reißt ihre blassblauen Augen auf und beteuert, nichts zu wissen. Die beiden Namen kennt sie immerhin, es sind Exfreunde von ihr. So harmlos, wie ich dachte, scheint das Frolleinchen nicht zu sein. Außerdem wird sie ziemlich schnippisch und nennt ihren Ex Mustafa eine «Mistgeburt».
«Na, diese Dame ist ja voll Jäckpott», sage ich zu Musti. «Sei froh, dass du die elegant losgeworden bist.» Der seufzt zum Erbarmen.
Trotz oder wegen der Anzeige lauern die Typen ihm jetzt auf dem Nachhauseweg auf – glaubt Mustafa jedenfalls. Er fühlt sich bedroht, und am Donnerstag ruft er in der Mittagspause ohne Rücksprache mit mir oder der Schulleitung einfach die Polizei an.
Er glaubt, Marvin am Schultor gesehen zu haben. Die Polizei kommt auch sofort – und ist nicht begeistert von seiner Eigeninitiative. Er solle doch bitte in so einem Fall erst einmal mit seinen Lehrern sprechen, sagt der Polizist.
«Was wird denn noch alles passieren?», klage ich, und Karl winkt ab: «Reg dich nicht auf, Frl. Krise, sind ja bald Ferien.»
Dann fehlt Musti drei Tage.
Meine Klasse nimmt inzwischen natürlich voll Anteil. Marvin und Sascha! Vallah, die sollen nur kommen! «Abooo, die schlagen wir klein!», verkünden Hassan und Turgut kriegerisch, und in den großen Pausen brauche ich niemanden von den Meinen mehr aus dem Schulhaus zu komplimentieren. Alle stürzen freiwillig raus, aus lauter Angst, etwas zu verpassen.
Gestern gehe ich vor dem Schlafengehen mal ganz kurz Facebook, um zu kontrollieren, wer von meinen Lieben noch im Netz ist, da springt mich der rote Nachrichtenpunkt an.
Der Vater von Musti hat mir geschrieben. Jetzt geht’s wohl los! Ich bin hin- und hergerissen zwischen Erstaunen und Unmut. Diesen Eltern ist wohl gar nichts mehr heilig! Auf der anderen Seite: Ganz gut, wenn sie mir hier schreiben, das ist besser als ihre plötzlichen Überfälle in der Schule.
«Hallo Fräulein Krise. Wir haben mit Eltern von Yvonne telefoniert. Die haben jetzt mit beiden Jungen gesprochen. Sie haben versprochen, nicht mehr anzurufen und nichts zu tun. Mustafa ist aber ganz fertig, er war Arzt und ist bis zu den Ferien krankgeschrieben.»
Uff!
Welcher Arzt eigentlich?
Meine Nerven lassen auch zu wünschen übrig.
Vorsicht Vorsätze!
Ich will besser in der Schule werden, ich will immer früh aufstehen, ich will meinen Eltern und Lehrern gegenüber respektvoll sein, ich will im Unterricht aufpassen, ich will immer lesen, ich will mein Leben in den Griff kriegen … Dieses und noch vieles mehr bieten mir meine Schüler an, als ich sie im Ethikunterricht frage, was sie sich denn im neuen Jahr so vornehmen.
Nun weiß jeder, der ein wenig Lebenserfahrung hat, dass nichts schwerer umzusetzen ist als solch hehre Vorsätze. Also versuchen wir sie gemeinsam runterzubrechen: «Kleine Ziele», predige ich, «je kleiner, desto besser!»
Ich packe meine Schultasche abends, ich stehe eine Viertelstunde früher auf, ich lasse Frl. Krise ausreden, ich setze mich neben Azzize, ich lese jeden Tag fünfzehn Minuten – das hört sich schon besser an.
«Ja, das schaff ich», sagt Hassan zufrieden und malt «Ich nehme meine Mathesachen mit» auf ein blaues Kärtchen.
«Gib mir Lineal!», schreit Hanna, die gerade «Ich spreche leise» auf ein rosafarbenes Kärtchen schreibt.
«Schrei ma nich so», mischt sich Nesrin ein. «Guck ma, was du da schreibst!»
«Na und!», faucht Hanna. «Was geht’s dich an, Hässlichkeit!»
«Frl. Krise, sie sagt mir Hässlichkeit!», ruft Nesrin. «Sagen Sie sie, sie soll Maul halten, weil ich nicht darf!» Sie wedelt mit ihren gelben Kärtchen, auf dem «Ich regele meine Koflickte mit friedliche Worte!» steht.
Ich lobe Nesrin und weise Hanna in ihre Schranken – da wird die Tür aufgerissen, mehrere lockere Schneebälle fliegen im hohen Bogen herein, zerschellen am Boden, und schwupp ist die Tür wieder zu. Empörter Aufschrei! Alle springen auf.
Mindestens acht meiner Schüler rasen aus der Klasse und jagen hinter den Übeltätern her. Ich höre einen irren Krach im Treppenhaus, schließlich einen Moment
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