Ghostbound (German Edition)
den Tisch abgeräumt hatte, trat sie hinter Daniel, stützte sich auf die Stuhllehne und beugte sich über seine Schulter.
„Ich denke, vor neun brauche ich niemanden anzurufen, was bedeutet, ich habe noch fast eine halbe Stunde Zeit. Irgendwelche Vorschläge, wie wir die Zeit am sinnvollsten nutzen, Detective?“
„Oh, ich bin sicher, uns fällt da was ein, Miss Parker“, antwortete er verführerisch lächelnd. „Auch wenn ich der Meinung bin, dass es äußerst unhöflich wäre, irgendjemanden vor halb zehn zu belästigen.“
Was für ein Bild, davon würde ich jetzt gerne ein Foto schießen , dachte Elizabeth, als sie aus dem trostlosen Apartmenthaus trat und zur Straße hinunter sah, wo Daniel mit verschränkten Armen lässig am MG lehnte und auf sie wartete. Es sah aus, als bewachte er sein Auto, was angesichts der Tatsache, dass sie sich in einem der ärmsten und heruntergekommensten Stadtbezirke Londons aufhielten, vermutlich gar keine schlechte Idee war. Sie klippte das Headset ans Ohr und trat die mit überquellenden Müllsäcken gesäumten Stufen hinunter auf den Gehweg.
„Das war so ziemlich das Deprimierendste, was ich je erlebt habe“, sagte sie leise, als sie vor Daniel stehen blieb.
Was Elizabeth aus der Fassung gebracht hatte, war nicht die Trauer der Eltern, sondern deren völlige Apathie. Mr und Mrs Brown hatten ihr rein gar nichts über ihren Sohn Paul sagen können. Nichts über seine Clique, seine Interessen oder über Probleme, die er eventuell gehabt hatte. Die Gleichgültigkeit, mit der die Browns über ihren toten Sohn gesprochen hatten, erschütterte Elizabeth zutiefst. Auf Trauer, auf Wut, auf die gesamte Palette an Emotionen war sie vorbereitet gewesen, aber nicht auf das.
Daniel lachte humorlos auf. „Was soll ich sagen? Willkommen im Wunderland, Alice.“
„Du hättest mich zumindest warnen können.“
„Ich hatte gehofft, dass die Browns einfach nur unter Schock standen, als Tony und ich sie damals befragten, und deshalb so wenig hilfreich waren. Ich dachte, heute wären sie eventuell etwas zugänglicher.“
„Falsch gedacht“, murrte Elizabeth und öffnete die Fahrertür. „Hoffentlich haben wir bei Mrs Moreland mehr Erfolg.“
Barbara Moreland war eine alleinerziehende Mutter und lebte mit ihren Kindern in einem kleinen Reihenhaus in Clapham. Nach Justins Tod vor fast drei Monaten blieben ihr noch sein siebzehnjähriger Zwillingsbruder Martin und die kleine Sally. Der stämmigen Frau war der Schmerz über den Verlust ihres Sohnes deutlich anzusehen, doch gab sie sich alle Mühe, ihren Kindern zuliebe nach außen hin Stärke zu zeigen.
„Ich wusste gar nicht, dass die Polizei private Ermittler beschäftigt“, sagte Mrs Moreland und reichte Elizabeth eine Tasse Kaffee. Sie saßen am Esstisch in einem etwas dunklen, aber liebevoll eingerichteten Wohnzimmer, in dem es leicht modrig nach verwelkten Blumen roch.
„Tut sie auch nicht. Und nächstes Mal lassen Sie sich einen Ausweis zeigen, bevor Sie einen Fremden in Ihr Haus lassen“, bemerkte Daniel. Er stand an der Terrassentür und sah in den briefmarkengroßen Garten hinaus, wo eine alte Kinderschaukel verlassen vor sich hin rostete.
Elizabeth schlug das Notizbuch vor sich auf und blätterte auf eine leere Seite. „Die Detectives der Metropolitan Police sind im Augenblick etwas überlastet. Deshalb werden sie von einer Reihe externer Kräfte unterstützt. Wir machen hauptsächlich die Fußarbeit.“
„Aber die Beamten, die vor einigen Wochen hier waren, arbeiten doch nach wie vor an dem Fall. Wie waren die Namen … Wood und Manson?“
„Mason“, korrigierte Elizabeth automatisch. Offensichtlich war Mrs Moreland keine Star-Leserin und nicht über die jüngsten Ereignisse informiert. „Nein, Justins Fall wird jetzt von zwei anderen Detectives bearbeitet. Ihre Namen sind …“ Sie zögerte, da ihr die Namen, die Wood neulich erwähnt hatte, nicht einfallen wollten.
„Tom Evans und William Nichols“, half Daniel ihr aus, und sie wiederholte die Namen für Mrs Moreland.
„Können Sie mir etwas darüber sagen, wie weit die Polizei mit ihren Ermittlungen ist?“, fragte Mrs Moreland hoffnungsvoll. „Seit die beiden Beamten hier waren, habe ich nichts mehr gehört. Nicht zu wissen, wer es getan hat und warum, bringt mich fast um den Verstand.“
„Ja, ich weiß“, murmelte Elizabeth mitfühlend, und auch Daniel stimmte mit einem leichten Nicken zu. Er sah immer noch nachdenklich aus dem Fenster
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