Ghosts 01 - Ghosthunter
Sein Vater solle erst mal selbst klarkommen, bevor er ihm dumme Ratschläge gebe! Und – nein! – er werde nicht morgen im Laden arbeiten. Es dauerte, bis Bpm genervt seine Bitte vortragen konnte. „Kann ich mich drauf verlassen, ja?“ fragte Bpm, als wäre sein Vater zehn Jahre alt. Ian wusste von ihren gemeinsamen Bootstouren, dass Bpm den ganzen Haushalt schmiss, während sein Vater vergeblich versuchte, das Geschäft über Wasser zu halten. Der Laden lief schlecht und umso schlechter er lief, desto öfter war Bpms Vater betrunken. Und umso öfter er betrunken war, desto schlechter lief der Laden.
„Gut, Dad“, beendete Bpm das Gespräch. „Ich rufe dich heute Abend noch mal an. Pass auf dich auf.“
Als Bpm aus dem Badezimmer kam, schulterte Ian bereits seinen Rucksack. „Wenn dein Vater deine Hilfe braucht, kannst du jederzeit zurückfahren, Bpm. Das weißt du, oder?“
„So wie ich das sehe, brauchst vor allem du meine Hilfe.“ Er zog die SIM-Karte aus dem Handy und zwinkerte Ian zu. „Brüder“, sagte er und hielt seinen Arm mit der Schnittwunde neben Ians.
„Blutsbrüder.“
44
Es dauerte eine Weile, bis Chiyo die Isolierung des Kabels längs aufgeritzt hatte, ohne die Adern darin zu verletzen. Als sie fertig war, fühlte sich ihr Daumen taub an.
Wie sie erwartet hatte, führten mehrere Adern im Kabel herab. Sie hatte Glück, es war auch ein Schutzleiter dabei. Weil es ihr nach der Schinderei mit der Isolierung nun so mühelos gelang, ihn zu durchtrennen und aus der Ummantelung zu ziehen, musste sie lächeln. Da sie den Schutzleiter gewählt hatte, lief die Kamera wie gewohnt weiter. Niemand hatte bisher bemerken können, dass sie nun im Besitz eines drei Meter langen Kabels war. Chiyo sah nach oben. Der Schutzleiter war zu weich, um ihn von unten zwischen Decke und Wasserrohr durchzustecken, aber sie hatte eine Idee.
Im toten Winkel der Kamera zog sie den Akku aus der PSP, trennte ein paar Zentimeter ihres Kabels ab und stellte Gexx neu ein. Dann holte sie ihren Kaugummi unter der Tischplatte hervor und klebte den Akku auf Gexx’ Rücken. Sie band ihm das Kabel um den Bauch und schloss den Akku an sein Motherboard an.
Nachdem sie ungefähr abgeschätzt hatte, bis wohin die Kamera den Raum überblicken konnte, setzte sie Gexx an die Wand und schaltete ihn ein. Wie sie glücklich feststellte, hielt sich der mechanische Gecko auch mit fünf statt sechs Tatzen an der Wand fest. Solange das Kabel, das von seinem Rücken baumelte, nicht allzu sehr hin und her schwang, würde er es nach oben transportieren können. Und mit etwas Glück sogar zwischen Wasserrohr und Decke hindurch.
Chiyo kontrollierte noch einmal die genaue Richtung, dann trat sie unter die Kamera zurück.
Langsam kletterte Gexx die Wand hinauf. Die unzähligen Härchen an seinen Tatzen hafteten gut auf dem porösen Beton. Noch war er im Sichtschatten, aber er musste den toten Winkel verlassen, um die Lamellen zu erreichen. Chiyo hoffte inständig, dass die Wachmänner nur ein Tier sehen würden. Einen großen, dunklen Punkt an der Wand. Hoffentlich würden sie Gexx für eine große Spinne halten und ihn nicht weiter beachten. Denkbar war es, denn die beiden Wachmänner, die im Eingangsbereich des Reviers hockten, hatten um die zwanzig Monitore im Auge zu behalten und wurden ständig durch das Kommen und Gehen der Kollegen abgelenkt.
Mechanisch setzte Gexx einen Fuß vor den anderen und erklomm im Schneckentempo die Wand, bis er am Knick zur Decke angelangte.
„Komm schon“, flüsterte Chiyo. Innerlich musste sie über sich selbst lachen, dass sie einer Maschine Mut zusprach. Sie wusste, dass Gexx von Wänden auf Decken übersetzen konnte, dass er die komplizierte Abfolge der Schritte kannte. Immerhin hatte sie ihm die Schritte beigebracht, jede noch so kleine Bewegung hatte sie ihn gelehrt: in Assembler und C++.
Gexx traute sich noch einen Schritt weiter vor, drehte seinen Körper aus Eisenstangen und Plastik und setzte die ersten beiden Füße an die Decke. Dann wollte er das nächste Beinchen nachziehen und platzieren, aber das Bein fehlte.
Gexx trat nicht ins Leere, er trat mit der Leere zu.
Chiyo hielt den Atem an und beobachtete, wie Gexx zwei Beine an der Decke und drei an der Wand hielt und ungerührt sein Programm abspulte. Anscheinend dachte er, sicher an der Decke zu hängen, denn er löste eine weitere Tatze von der Wand. Er wollte sie zur Decke bewegen, aber kaum hatte er den Fuß weggezogen, verlor er
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