Ghosts 01 - Ghosthunter
Hände liefen krebsrot an. Keuchend erreichte sie die Öffnung des Lüftungsschachts. Sie ahnte, dass sie nur eine einzige Chance haben würde, ihr Bein hineinzuschwingen. Wenn es ihr nicht gelang, würde entweder der Tisch das Wasserrohr wegreißen oder sie so heftig zum Schaukeln bringen, dass sie sich nicht mehr würde halten können.
Sie atmete tief durch.
„Chiyo, reiß dich zusammen“, ermahnte sie sich und schwang vor.
Es klappte! Sie konnte den zweiten Fuß nachschieben und die Hände entlasten. Chiyo drückte sich hoch und in den Lüftungsschacht. Damit das Gewicht des Tisches sie nicht wieder zurückzog, musste sie sich in dem Blechkasten verkeilen.
„Mist“, stöhnte sie und band panisch das Kabel von ihrer Hand. Sie ließ es los und sah vom Schacht aus, wie der Tisch zu Boden krachte und das Kabel mit sich riss, geradewegs zurück über das Wasserrohr. Wie eine tote Schlange fiel es zu Boden.
BLAAAAMMM!
Durch das Rechteck des Lüftungsschachts konnte sie die Tür sehen. Holz barst, Splitter spritzten durch den Raum. Kaum war der Stuhl zur Seite gefallen, stürmten die beiden Polizisten herein. Während Chiyo schnell in die Dunkelheit kroch, konnte sie hören, wie die Männer den Tisch unter die Öffnung schoben und vergeblich versuchten, die Kante des Schachts zu erreichen.
„Für so was hat man Leitern erfunden“, murmelte Chiyo lächelnd. Obwohl es anstrengend war und sie in der schmalen Röhre kaum Luft bekam, krabbelte sie weiter. „Erstickt in der Lüftung“, witzelte sie.
Sie gelangte an eine Abzweigung und ließ den Roboter in den Schacht laufen. Es tat ihr leid, Gexx zu opfern, aber ihr blieb keine andere Wahl. Chiyo sah ihm noch einen Augenblick nach, dann kroch sie weiter, ohne zu wissen, wohin. Blind nahm sie die nächsten Abzweigungen, folgte allein ihrem Gefühl und dem Lärm der Straße, der dumpf durch die Rohre hallte. Sie hoffte, in einem Hinterhof oder in einer der Kopierräume zu landen, die sie vorhin passiert hatten.
Bloß keine andere Zelle, betete sie. Bei meinem Glück komme ich in einem Nachbarraum raus, der genauso aussieht wie der eben.
Wieder tauchte unter ihr ein Gitter auf und sie warf einen Blick durch die Lamellen. Mittlerweile schien sie sich nicht mehr über dem Trakt mit den Befragungszimmern, sondern über den Großraumbüros zu befinden. Zwischen den Lamellen konnte Chiyo Tische erkennen. Beamte telefonierten, wühlten hektisch in ihrer Ablage oder starrten auf ihre Monitore. Sie krabbelte weiter und erblickte durch das nächste Gitter zu ihrer Überraschung die Hosenanzugträgerin. Zwei junge Beamte standen bei ihr und erstatteten Bericht. Kaum hatten die Männer ausgesprochen, starrte die Frau an die Decke.
Chiyos Herz setzte aus. Ihre Blicke trafen sich und sie hätte schwören können, dass auch die Beamtin sie gesehen hatte. Doch die Polizistin wandte den Blick ab und rannte los.
Hoffentlich macht Gexx genug Lärm in den Schächten, dachte Chiyo. Sie hasste es, ihn als Lockvogel einzusetzen, aber diesen Preis musste sie wohl zahlen.
Die Bolzen, die die Elemente des Lüftungsschachts verbanden, rissen ihre Netzstrümpfe auf. Obwohl sie sich die Knie aufschürfte, kroch sie schnell und leise weiter.
Das nächste Gitter. Sie spähte nach unten. Ein über zwei Meter hoher Aktenschrank stand unter dem Schacht, aber es war weit und breit niemand zu sehen. Einen Moment lauschte sie noch in die Stille, dann löste sie die Schrauben und klappte das Gitter weg.
Chiyo streckte den Kopf heraus und stellte fest, dass sie in einem Seitenflur unweit des Großraumbüros gelandet war. So schnell sie konnte, ließ sie sich auf den Aktenschrank fallen. Sie öffnete mit dem Fuß eine Schublade und kletterte auf diese Weise herab. Unten angekommen, richtete sie sich das Haar, indem sie sich schnell zwei Zöpfe mit ihren Schnürsenkeln band. Geschwind zog sie sich ihre zerlöcherten Strümpfe unter dem Rock aus und streifte ihr Ramones-Shirt über.
Aus dem Großraumbüro schallten aufgeregte Stimmen zu ihr herüber. Sie meinte, einen Beamten ihren Namen rufen zu hören, war sich jedoch nicht sicher. Vorsichtig schlich sie zum Ende des Gangs und spähte in den Raum.
Während die Hosenanzugträgerin wie eine Königin in der Mitte des Raumes thronte, schwirrten ihre Kollegen wie fleißige Bienen hin und her. Doch die Mehrzahl der Beamten telefonierte weiter, blätterte in Datenbanken oder nahm Anzeigen auf.
Hinter den offenen Schreibtischen, Stellwänden und
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