Ghostwalker 03 - Raven, M: Ghostwalker 03
ein Alptraum, in Wirklichkeit waren die Wandler noch da, genauso wie all die anderen Tiere.
Mühsam erhob er sich und kroch aus dem Loch heraus. Erdklumpen verklebten sein Fell und juckten auf seiner Haut, doch er hatte jetzt keine Zeit, sich darum zu kümmern. Er musste die anderen möglichst schnell vor Jennings warnen. Auch wenn der Mann auf den ersten Blick zivilisiert wirkte, lag etwas Dunkles in seiner Seele, das Melvin schaudern ließ. War er schon immer so gewesen, oder hatte ihn Melodys Verlust zu dem gemacht, was er heute war? Und trauerte er wirklich um seine Verlobte, oder wollte er einfach nur Rache, weil ein anderer Mann ihm etwas weggenommen hatte, was er als sein Eigentum betrachtete? Hätte er den gleichen Aufwand betrieben, wenn ihm jemand Geld gestohlen hätte? Melvin hatte keine Möglichkeit, das einzuschätzen, und das ließ ihn nervös werden. Letztlich hatte er diese Entwicklung selbst verursacht, und das machte die ganze Angelegenheit nicht gerade leichter für ihn.
Melvin schüttelte die Gedanken ab und brach auf. Zuerst gelang ihm nur ein steifer Gang, bei dem jeder einzelne Schritt, jede Muskelbewegung schmerzte, doch nach einiger Zeit hatte er sich aufgewärmt und der Lauf wurde geschmeidiger. Trotz der Situation genoss er es, nicht mehr eingesperrt zu sein, mit zu vielen Menschen in unmittelbarer Nähe. Tief atmete er die frische Waldluft ein und blies große Atemwolken aus, die in den klaren blauen Himmel stiegen. Plötzlich wusste er, wo er hingehörte, wo er sein wollte. Aber den Weg zu dieser Erkenntnis hatte er sich teuer erkauft. Zu teuer.
Wenn es ihm gelang, die anderen Wandler zu warnen, würde er sich vielleicht irgendwann selbst den Verrat verzeihen können. Allerdings nie, dass sein Vater seinetwegen gestorben war.
Wahrscheinlich hatten Jennings’ Leute ihre Schlafstelle nur deswegen gefunden, weil Melvin darauf bestanden hatte, in Menschengestalt herumzulaufen, und sich nicht als Berglöwe tarnen wollte. Er biss die Zähne zusammen, um den Selbsthass zu unterdrücken. Das würde warten müssen, bis er Zeit dafür hatte, im Moment zählte nur, schnell zu den anderen zu gelangen.
Lautlos lief er durch den Schnee, immer tiefer in die Wildnis hinein. Sein Orientierungssinn gab ihm die Richtung vor, und so erreichte er einige Stunden später die Stelle, an der er mit Conner in der Nacht des Überfalls gelagert hatten. Kurz davor hielt er an, nicht sicher, ob er den Anblick seines toten Vaters ertragen würde. Aber er hatte keine andere Wahl, er konnte ihn nicht hier liegen lassen, wo Tiere über ihn herfallen würden. Melvin schluckte heftig. Vielleicht hatten sie ihn auch schon weggeschleppt.
Mit wild hämmerndem Herzen trat er schließlich auf die kleine Lichtung. Alles war mit einer weißen Puderschicht bedeckt, und er hatte Mühe, den genauen Platz zu finden, an dem Conner gelegen hatte. Mit einer Mischung aus Erleichterung und Trauer erkannte Melvin, dass kein Körper unter der dünnen Schneeschicht lag. Auch sein Geruchssinn bestätigte das. Es waren nur noch leichte Spuren von Blut in der Luft wahrzunehmen und der typische Duft seines Vaters. Unter dem Schnee erkannte er Kampfspuren in der umgepflügten Erde. Wie konnte er geschlafen haben, während sein Vater um sein Leben kämpfte? Irgendwie musste es Jennings gelungen sein, ihn vorher zu betäuben. Hoffentlich hatte Conner in seinen letzten Momenten nicht geglaubt, dass sein Sohn ihn im Stich ließ.
Mit fest zusammengepressten Lippen folgte Melvin den Spuren. Es sah so aus, als wäre sein Vater noch weitergekrochen, nachdem die Menschen von ihm abgelassen hatten. Am Ende der Furche blieb Melvin ratlos stehen. Ein merkwürdiger Geruch überlagerte den seines Vaters, aber nicht der eines Menschen. Durch den Schneefall war der Duft zu sehr verwischt, als dass Melvin noch hätte feststellen können, um was es sich handelte. Oder um der Spur zu folgen. Er konnte nur in die Richtung laufen, in die sie zu führen schien, in der Hoffnung, seinen Vater doch noch zu finden.
Nachdem er das eine Weile getan hatte, ohne eine Spur von Conner zu entdecken, gab er auf. Zumindest für den Moment, denn die Zeit lief ihm davon. Je eher er die anderen Wandler über Jennings’ Vorhaben informieren konnte, desto besser. Danach würde er zurückkommen und die Leiche seines Vaters suchen. Melvin blieb abrupt stehen, als ihm ein Gedanke kam: Konnte Jennings gelogen haben, und sie hatten Conner mit in die Stadt genommen? Vielleicht war
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