Ghostwalker 04. Fluch der Wahrheit
Mädchen mit Marisas schwarzen Haaren und seinen bernsteinfarbenen Augen vorzustellen. Oder einen Jungen mit zerzausten dunkelblonden Haaren und braunen Augen. Aber er konnte nicht ohne Marisa leben, und wenn er eine Wahl treffen musste, würde sie immer auf seine Gefährtin fallen.
28
Stöhnend vergrub Finn seinen Kopf unter dem Kissen, als es an der Tür klopfte. Konnte er nicht wenigstens eine Nacht durchschlafen? Es dauerte einen Moment, bis ihm wieder einfiel, was in den letzten Tagen alles passiert war. Sofort setzte die Anspannung wieder ein, die ihn quälte, seit Marisa ihm von Caitlin Walkers Liebesroman über die Berglöwenwandler berichtet hatte. Und die Sorge war berechtigt gewesen. Was konnte jetzt wieder geschehen sein? Rasch löste Finn sich aus Jamilas Armen und stand auf.
»Was ist los?« Ihre schlaftrunkene Stimme stoppte ihn.
»Nichts, schlaf weiter.« Er beugte sich über sie und küsste ihre nackte Schulter, bevor er das Schlafzimmer verließ und die Treppe hinunterlief. Sein schlechtes Gefühl verstärkte sich, als er Bowens Geruch erkannte. Nur zu gut erinnerte er sich an dessen bleiches Gesicht und seine entsetzte Miene, als er sich Stammheimers Videos angeschaut hatte, auf denen er nackt und hilflos an eine Liege gefesselt gewesen war, während der Wissenschaftler ihn folterte. Am liebsten hätte Finn ihm verboten, sich die Aufnahmen anzusehen, doch Bowen hatte ein Recht darauf. Danach hatte Bowen stumm die Hütte verlassen und war im Wald untergetaucht. Hätte er ihm folgen sollen? Vermutlich, aber er hatte zu viel anderes im Kopf gehabt, zu viele Dinge, die noch erledigt werden mussten. Das Mindeste, was er tun konnte, war jetzt für Bowen da zu sein.
Entschlossen öffnete Finn die Tür. Bowen senkte seine Hand, mit der er wohl noch einmal hatte klopfen wollen. Sein Gesicht war immer noch blasser als gewöhnlich, etwas wie Angst stand in seinen Augen. Finns schlechtes Gefühl verstärkte sich. »Ist etwas passiert?«
Bowen richtete sich zu voller Höhe auf. »Ich war eben draußen unterwegs und hatte plötzlich das Gefühl, dass irgendetwas mit Isabel geschehen ist.« Seine Stimme zitterte leicht.
Finns Augenbrauen zogen sich zusammen. »Isabel ist mit Keira in Nevada. Ich habe nichts von irgendwelchen Problemen gehört.«
Röte stieg in Bowens Wangen. »Das weiß ich. Aber irgendwie … « Er presste die Lippen zusammen. »Ich habe etwas gespürt. Könntest du sie anrufen und nachfragen, ob alles in Ordnung ist?«
Die Vorstellung, möglicherweise mit Keira sprechen zu müssen, behagte Finn nicht, aber sofort schämte er sich für diesen Gedanken. Wenn es um die Sicherheit ihrer Gruppe oder auch ihrer Freunde ging, war alles andere nebensächlich. Zögernd nickte er. »Natürlich. Komm herein.«
Bowen folgte ihm in die Hütte und nahm am Tisch Platz, während Finn wieder nach oben ging. Jamila kam ihm in eine Decke gehüllt entgegen. »Wer war das?«
»Bowen, er wartet unten, während ich das Telefon hole. Er denkt, dass etwas mit Isabel geschehen sein könnte.«
»Oh nein!« Sie schob sich an ihm vorbei und lief die Treppe hinunter. Finn sah ihr einen Moment hinterher und wurde wieder von einer Welle der Zärtlichkeit überrollt. Obwohl Bowens und Jamilas Beziehung alles andere als positiv begonnen hatte – schließlich hatte sie mit ihrer Schwester Kainda ursprünglich den Feinden der Wandler geholfen –, war sie sofort bereit, ihm Trost zu spenden. Er konnte ihre sanfte Stimme hören, als er das Telefon aus dem Schlafzimmer holte.
Als er ins Wohnzimmer zurückkehrte, strich er ihr im Vorbeigehen mit den Fingern über ihre nackte Schulter. »Warum gehst du nicht wieder zurück ins Bett? Ich komme in ein paar Minuten nach.«
Jamila wirkte, als wollte sie protestieren, aber dann nickte sie nur. »Ich hoffe, dass alles in Ordnung ist.« Freundlich lächelte sie Bowen zu, bevor sie über die Treppe nach oben verschwand.
Finn blickte ihr sehnsüchtig hinterher. Wie gern würde er sich zu ihr ins Bett kuscheln und … Als ihm bewusst wurde, dass Bowen ihn beobachtete, räusperte er sich. »Dann rufe ich jetzt bei Isabel an, damit wir alle weiterschlafen können. Es ist bestimmt alles in Ordnung. Keira hätte mich benachrichtigt, wenn es ein Problem gäbe.« Es fiel ihm schwer, es mit Überzeugung zu sagen. Seit er erfahren hatte, dass Keira diejenige gewesen war, die sein Verhältnis zu Jamila an das Ratsmitglied Kearne verraten hatte, war eine Kluft zwischen ihnen entstanden,
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