Gib den Jungs zwei Küsse: Die letzten Wünsche einer Mutter
sagte Reef. »Muss ich mit zum Einkaufen? Wie oft müssen wir noch schlafen?«
»Nun, je schneller ihr heute Abend zu Bett geht, umso weniger oft müsst ihr noch schlafen«, sagte ich. »Höchste Zeit für euch, nach oben und ins Bad zu gehen.«
Sie trotteten nach oben, und ich folgte ihnen, um Wasser einlaufen zu lassen, während die Jungs sich auszogen. Sie waren fertig, bevor die Wanne voll war, so nutzte ich die Gelegenheit, mir Reefs Bauch anzusehen. Das machte ich immer mal wieder, eine Gewohnheit, die ich wohl nie loswerde. Man hatte mir erklärt, dass die meisten Krebserkrankungen, die wiederauftauchen, an derselben Stelle auftauchen, an der der ursprüngliche Tumor entfernt worden war – entweder das, oder sie setzt sich in den Lymphknoten fest und verteilt sich dann im ganzen Körper, wie das bei Kate der Fall gewesen war.
»Lass mich mal einen Blick auf deinen Bauch werfen«, sagte ich routinemäßig und bat Reef, sich flach auf die Badematte zu legen.
Nach der Operation zur Entfernung des Tumors aus seinem Abdomen waren bei Reef »Schrotkugelknoten« auf seinem Bauch und Unterleib zurückgeblieben, die wie winzige Beulen unter der Hautoberfläche aussahen. Man hatte mir empfohlen, sie im Auge zu behalten, denn sollten sie wachsen, wäre dies ein Warnzeichen, dass etwas nicht stimmte.
Mir wurde ganz eng in der Brust, als ich mir an diesem Abend Reefs Bauch ansah, und meine Nerven vibrierten, als hätten sich Glassplitter in meinen Adern festgesetzt. Die Knoten waren überdeutlich vergrößert. Mein Mund wurde trocken, und mir blieb die Luft weg, als hätten sich in meinem Körper Schmetterlinge breitgemacht und verkrampft, um mir die Luft abzupressen. Das kann nicht sein, das kann nicht sein, dachte ich und holte so tief Luft wie möglich, ohne dass ich Reef verängstigte.
»Ist alles in Ordnung, Daddy?«, fragte Reef fröhlich.
»Wie fühlst du dich?«, fragte ich ihn, obwohl ich kaum ein Wort herausbrachte.
»Gut!«, sagte er und fing an zu kichern, als ich seinen Bauch berührte. »Du kitzelst mich! Hör auf!«
»Na gut, dann schnell in die Wanne mit dir, und beeilt euch, dann bleibt uns noch Zeit für eine Geschichte.«
Ich rief sofort den Facharzt Professor Mike Stevens an. Er ist ein wunderbarer Mensch, einer der führenden Fachärzte in Europa für seltene Krebserkrankungen wie die von Reef. Wir hatten uns im Lauf der Jahre so gut kennengelernt, dass ich ihn direkt anrufen konnte, wofür ich sehr dankbar war.
»Bringen Sie ihn morgen vorbei«, sagte er, nachdem er sich meine Beschreibung der Knoten angehört hatte. »Wir werden ihn gründlich untersuchen. Versuchen Sie bis dahin, sich nicht allzu große Sorgen zu machen.«
Ich fand kaum Schlaf in dieser Nacht. Ständig gingen mir als Endlosschleife dieselben zwei Gedanken durch den Kopf. Bei Reef waren sie davon ausgegangen, dass er kaum eine Überlebenschance haben würde, während sie Kate gute Genesungsaussichten bescheinigt hatten.
»Seine Überlebenschancen sind so gering«, hatte Kate damals geschluchzt. »Was ist, wenn wir ihn verlieren?«
Reef schaffte es entgegen aller Wahrscheinlichkeit, und dann war Kate an der Reihe, ihre Chancen zu übertreffen. Diese standen sehr viel besser als die von Reef – eine achtzigprozentige Wahrscheinlichkeit verglichen mit den mageren sechs Prozent seiner Ursprungsdiagnose. »Du schaffst das«, sagten wir alle zu Kate und waren davon überzeugt. Wir lagen alle falsch. Reef hat überlebt, Kate ist gestorben. Reef hatte so gut wie keine Überlebenschance, dennoch überlebte er. Kate sollte aller Voraussicht nach leben, und sie starb. Immer wieder nickte ich kurz ein, ohne die Tretmühle meiner Gedanken verlassen zu können. Ich wünschte mir Kate an meiner Seite, wollte die Wärme ihrer Haut an meiner spüren.
»Und wenn wir ihn verlieren, Singe?«
Das konnte ich sie sagen hören, und meine Antwort hörte ich ebenfalls.
»Wir müssen positiv bleiben«, sagte ich ihr. »Er hat die beste Mummy an seiner Seite. Er wird es schaffen, da bin ich mir ganz sicher. Wir müssen nur daran glauben.«
Kate klammerte sich an mich, und ich war glücklich, ihr Fels zu sein. Dieser Fels musste ich noch immer sein und positiv denken, obwohl jetzt Angst und Furcht meinen Körper lähmten. Bleib positiv, sagte ich mir. Schlaf jetzt, suggerierte ich mir. Ich versuchte Bilder von Reef am Ende seiner Behandlung heraufzubeschwören und sagte mir, dass er seinen Krebs wie ein kleiner Drachentöter besiegt hatte.
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