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Gib mir mehr - Scharfe Stories

Gib mir mehr - Scharfe Stories

Titel: Gib mir mehr - Scharfe Stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Mueller
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Bahnhof mitten in der Nacht. Auch in der kürzesten Nacht des Jahres, kurz nach Mitternacht und wenige Stunden vor Sonnenaufgang. Sie zog die Schulter hoch, damit ihre Tasche nicht herunterrutschte, und blickte den leeren Bahnsteig entlang zu dem schwarzen Loch des Tunnels, in dem die Gleise verschwanden.
    Ihr war kalt. Da sie für den Sommer in China, ihrem Reiseziel, gekleidet war, trug sie nur eine leichte Jacke über einer lose fallenden Bluse und einem bunt bedruckten Baumwollrock. Für die Bahnhofshalle aus Eisen und Beton war diese Kleidung nicht geeignet, aber sie wollte ihren Koffer nicht stehen lassen und herumlaufen, damit ihr warm wurde, wollte das grüne Hartschalenungetüm jedoch auch nicht mit quietschenden Reifen hinter sich herziehen. Und in die drückende Wärme des Wartesaals wollte sie erst recht nicht. Als sie das letzte Mal einen Blick hineingeworfen hatte, hielten sich dort nur zwei betrunken aussehende Kerle auf, die sich heftig darüber stritten, welche Bar in der Stadt die beste zum Aufreißen sei. Also fror sie lieber, bis der Expresszug auftauchte, der sie nach Manchester zum Flughafen bringen sollte.
    Sie beobachtete, wie auf einem anderen Bahnsteig Reisende in einen Zug stiegen. Wahrscheinlich waren sie aus
gewesen und fuhren jetzt nach Hause. Mel beneidete sie ein wenig. Sie brauchten nicht um die halbe Welt zu reisen, um ihre Liebsten zu sehen. Sie hatten ein warmes Bett für die Nacht, lachten und unterhielten sich und hatten viel zu viel getrunken, um die Kühle zu empfinden.
    Ihr abgelegener Bahnsteig war fast leer, abgesehen von ein paar zusammengesunkenen Gestalten auf den Bänken. Das Betongewölbe war dunkel und schmutzig, und es roch nach Diesel. Bahnbeamte waren keine zu sehen, die Kioske waren mit Eisengittern versperrt und die Toiletten wegen Vandalismus verschlossen. Mel ging durch den Kopf, dass Frauen immer eingeschärft wurde, solche Orte zu meiden, und wenn es kein Bahnhof gewesen wäre, hätte auch nichts sie dazu bringen können, sich mitten in der Nacht alleine und zu dünn gekleidet hier aufzuhalten.
    Sie war ein bisschen nervös. Das lag an der Reise, die ihr bevorstand, weil sie stets fürchtete, irgendwo den Anschluss zu verpassen. Sie war auf Routine und eine gut organisierte Umgebung angewiesen. Ihr Schreibtisch im Büro war immer aufgeräumt, und das Foto von Steve war so positioniert, dass er ihr beim Arbeiten zuschauen konnte. Sie war immer pünktlich und gut vorbereitet, und deshalb war sie auch jetzt viel zu früh. Seufzend blickte Mel auf ihre Armbanduhr: Sie sagte ihr genau dieselbe Zeit wie die alte viktorianische Uhr am Bahnsteig und die Digitalanzeige auf dem Bildschirm, der oben angebracht war. Ihr Zug kam erst in fünfundzwanzig Minuten.
    Ihr war kalt, und sie war nervös. Und geil, wie sie zugeben musste. So reagierte sie immer, wenn sie an ruhigen Orten warten musste. Schon die Bibliothek auf dem College
hatte die wildesten Fantasien bei ihr hervorgerufen. Es hatte wohl etwas damit zu tun, dass man sich in einer solchen Umgebung, in der auch andere Leute waren, zusammennehmen musste. Mel kniff die Oberschenkel zusammen und dachte an Steve. Nach all diesen Monaten voller Frustration und hastiger, teurer, sentimentaler Telefonanrufe war sie nur noch einen Tag davon entfernt, ihn endlich wiederzusehen. In Xian würde es heiß und feucht sein. Sie stellte sich vor, wie sie unter dem Moskitonetz lagen, schweißbedeckt und ermattet vor Befriedigung, ihr Kopf an seiner Schulter, ihre Hand um seinen erigierten Schwanz. Sie konnte es kaum erwarten. Allein der Gedanke daran ließ ihr Geschlecht zerfließen.
    Wenn sie weiter diesen Tagträumen nachhing, warnte sie sich, würde sie durchdrehen, noch bevor sie China erreicht hätte.
    Erneut blickte sie auf die grüne Leuchtanzeige, aber es hatte sich nichts geändert. Der Zug zum Flughafen verkehrte regelmäßig wie ein Uhrwerk zwischen hier und Manchester und hielt auf der Strecke nicht an. Zum vierten oder fünften Mal betrachtete sie die Plakate auf dem Bahnsteig und las sogar die Anzeigetafel durch. Fünfundzwanzig Minuten waren noch eine Ewigkeit, dachte sie verzweifelt. Sie drehte ihrem Koffer den Rücken zu und ging um eine Säule herum, wo sie ein Plakat für die Royal Armouries fand, das sie minutenlang studierte. Daneben hing ein Plakat der städtischen Kunstgalerie, ein riesiges, abstraktes Gemälde aus lauter winzigen Punkten. Irgendein moderner Maler. Mel fand, es sah aus wie eins dieser

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