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Gib mir mehr - Scharfe Stories

Gib mir mehr - Scharfe Stories

Titel: Gib mir mehr - Scharfe Stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Mueller
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3-D-Bilder, die man nur erkennen konnte, wenn man aus genau der richtigen Entfernung konzentriert hinschaute.
Sie war gut darin. Wenn sie sich anstrengte, wurde sogar die gepunktete Tapete in ihrem Schlafzimmer zu Hause dreidimensional. Müßig trat sie ein paar Schritte zurück und starrte in die Tiefen des Plakats.
    Zu ihrer Überraschung war es ganz einfach. Innerhalb weniger Sekunden sah sie die Umrisse eines Baumes, unter dem eine nackte Frau lag.
    Mel zog die Augenbrauen hoch. Das war nicht das übliche, flache, gesichtslose Bild. Sie sah deutlich das laszive Lächeln auf dem Gesicht der Frau, die volle Rundung ihrer Brüste, sogar die kleinen Haarlöckchen an ihrer Scham. Jedes Detail war perfekt herausgearbeitet. Nur die Farbe stimmte nicht, da Frau, Baum und Landschaft alle im gleichen Farbton gehalten waren. Das Bild war unglaublich gut gemalt.
    Dann glitt der Arm eines Mannes an Mel vorbei in das Bild hinein und liebkoste die linke Brust der Nymphe. Sanft rollte er den aufgerichteten Nippel zwischen Daumen und Zeigefinger, bevor er ihn losließ und nach einer Frucht griff. Er brach sie ab, zog sie aus dem Plakat heraus und ließ sie in Mels Hand fallen.
    Einen Moment lang stand sie wie erstarrt da. Sie versuchte den Mann anzublicken, sah flüchtig dunkle Züge und strahlend weiße Zähne. Verwirrt betrachtete sie den warmen, samtigen Pfirsich, den sie in der Hand hielt. Er hatte immer noch den gleichen Farbton wie auf dem Plakat, aber er war real und lag schwer in ihrer Hand. Neben dem Stiel war ein kleines Loch, aus dem ein Insekt herauskroch, große, metallische Schmetterlingsflügel, glitzernd grün und blau, ausbreitete und über die Eisenverzierungen des viktorianischen Dachs davonflog.

    Mel ließ die Frucht fallen und blickte sich nach dem Mann um, der hinter ihr gestanden hatte, aber es war niemand da. Einen Moment lang hing ein Duft nach Nelken in der Luft. Auch der Pfirsich war verschwunden, auf dem Betonboden war noch nicht einmal ein Fleck zu sehen. Sie war allein auf dem Bahnsteig. Ich bin verrückt, dachte sie. Das ist alles nicht passiert.
    Dann fuhr der Zug ein und kam quietschend und ächzend zum Stehen. Niemand stieg aus, und Mel hatte auch keine Ankündigung aus dem Lautsprecher gehört. Sie blickte zur Uhr. Sie zeigte die halbe Stunde an, ebenso wie ihre Armbanduhr. Mit wachsender Verwirrung sah sie sich um. Der Zug war pünktlich, und sie hatte irgendwo zwanzig Minuten verloren.
    Sie hatte jedoch keine Zeit, sich darüber zu wundern, sondern ergriff ihren Koffer und wuchtete ihn in den nächstgelegenen Waggon. Sie verstaute ihren schweren Koffer in der Ablage, und erst nachdem sie sich auf einem Platz niedergelassen hatte, blickte sie sich um. Sie saß am Fenster an einem Tisch. Auf der anderen Seite des Ganges saß eine Frau mittleren Alters und las in einem dicken Taschenbuch. Weitere Passagiere saßen verstreut in dem Großraumwagen, aber alle schwiegen, und die meisten dösten. Mel stellte erleichtert fest, dass sie den vom Bahnsteig abgewandten Fensterplatz gewählt hatte, sodass sie das Plakat der Kunstgalerie nicht sehen konnte. Es sollte alles wieder normal sein. Sie spürte immer noch die warme Form der Frucht in ihrer Handfläche. Zwischen den Gleisen huschten zwei Ratten entlang. Es waren auf jeden Fall Ratten, sagte sie sich, ganz gleich, wie sie aussehen mochten.

    Eine der Ratten stellte sich auf die Hinterbeine, zeigte auf sie und begann zu lachen.
    In diesem Moment setzte sich der Zug in Bewegung, und sie sah die Ratten nicht mehr. Statt sich nach ihnen umzuschauen, schloss sie einfach die Augen.
    Als sie sie wieder öffnete, glitt der Zug beinahe geräuschlos an Höfen und halb verfallenen Industrieanlagen vorbei, an rußgeschwärzten Ziegelbauten und Fabriken mit leeren Fensterhöhlen. Der Morgen dämmerte noch nicht, aber der Himmel wurde schon langsam heller, und die Welt um sie herum war grau und undeutlich, eine Landschaft in Schattentönen. Auch ihr Gesicht spiegelte sich im Fenster wie ein blasser Geist. Mel gefiel der Anblick gar nicht. Sie sah teigig und viel zu dick aus und bei weitem nicht so jung, wie sie sein sollte. Würde Steve diese Vogelscheuche wirklich willkommen heißen?
    Eine Vogelscheuche, die nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte, dachte sie. Sie fuhr sich mit der Hand durch ihre blonden Locken. Das lag nur am Stress, sagte sie sich. Sie hatte zu viel gearbeitet und war zu lange allein gewesen. Seit sechs Monaten hatte ihr niemand mehr den

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