Gib mir Menschen
dem Ehrgeiz besessen, mit ihren Problemen selbst fertig zu werden.
Meinen Vorschlag, zu einem Psychiater in Behandlung zu gehen, lehnte sie mit der Begründung ab:
»Meine Krankheit ist unheilbar. Das Schlimme mit mir ist, daß ich mir die Zeit nicht einteilen kann. Es ist alles so ein Durcheinander.«
Ich stellte ohne ihr Wissen Nachforschungen über sie an. Es kam nichts dabei heraus. Anima hatte keine Vergangenheit. Ihr Leben ließ sich nur bis zu dem Tag zurückverfolgen, als sie in mein Leben getreten war. Ich hatte gehofft, Beweise dafür zu finden, daß sie Moras Tochter war. Ich hoffte auch, auf einen magischen Zirkel oder auf eine Sekte zu stoßen, mit denen Anima in Verbindung zu bringen war, was wenigstens meine Theorie von Moras Reinkarnation erhärtet hätte. Aber nichts!
Animas Zustand verschlimmerte sich nicht merklich. Es war ein ständiges Auf und Ab. Zwischen den einzelnen Anfällen wirkte sie überaus normal, und über Malerei konnte man mit ihr jederzeit vernünftig sprechen. Über andere Themen wiederum überhaupt nicht. Etwa über ihre Eskapaden und ihre Krankheit.
Eines Nachts – sie war bis zu diesem Zeitpunkt eine volle Woche abgängig gewesen – wurde ich durch verzweifeltes Schreien aus einem Alptraum gerissen. Anima lag auf mir und klammerte sich wie eine Ertrinkende an mich. Sie hatte einen Weinkrampf. Ihre Kleider waren zerfetzt, und sie sah auch sonst übel zugerichtet aus. Und sie schrie immer wieder: »Gurr ist tot! Gurr ist tot!« Ich konnte sie einfach nicht beruhigen. Irgendwann legte sich der Anfall von selbst, und sie erklärte mir: »Gurr ist von einem Blitz getroffen worden. Dabei war er ein so gelehriger Schüler.« Noch später sagte sie in einem Ton, als hätte sie gerade die größte Lebensweisheit entdeckt: »Alle Menschen sind sterblich, auch du, Alby. Und doch habe ich einen Weg zu dir gefunden.«
»Ja, Mora, alle Menschen sind sterblich.«
Sie sah mich erstaunt an.
»Was für einen Namen gibst du mir? Ich kann mich nicht erinnern, ihn schon mal gebraucht zu haben.«
»Und wenn du mir alle möglichen Namen gibst, dabei findest du wohl nichts.«
»Das geschieht nicht absichtlich. Ich bringe die Namen nur eben manchmal durcheinander. Ich habe es dir doch erklärt.«
»Du hast mir überhaupt nichts über deine anderen Liebhaber erzählt«, entgegnete ich wütend. »Und ich will auch gar nichts darüber wissen. Wieviele sind es denn? Ein Dutzend? Oder zwei?«
»Aber, Alby. Du weißt doch, daß es sich anders verhält. Ich erinnere mich ganz genau, daß ich es dir schon vor Jahren erklärt habe. Damals war ich noch ein …«
Sie verstummte und blickte mich entsetzt an. Aus ihren Augen sah mich nicht mehr Mora an, sondern der nackte Irrsinn. Dann löste sich aus ihrer Kehle ein nicht endenwollender Schrei. Sie schrie unaufhörlich, ich konnte sie nicht zum Verstummen bringen. Da ich mir nicht mehr zu helfen wußte, rief ich einen Arzt. Der wies sie in eine Psychiatrische Anstalt ein, und dort blieb sie. Es half alles nichts, was ich auch versuchte, um sie wieder freizubekommen, die Ärzte behielten sie da.
Ich war damals fünfundzwanzig, gehörte aber bereits zu den arrivierten Malern und hatte den Zenit meines Schaffens noch längst nicht erreicht. Alles, was ich war, das verdankte ich Anima, diesem verrückten Mädchen, deren Irresein ich trotz allem für liebenswert gehalten hatte.
Anima hatte eine begnadete Hand gehabt. Es war eine Freude, ihr beim Zeichnen oder Malen zuzusehen. Ihr Kohlestift glitt wie von selbst über das Papier, er schien ein eigenes Leben zu entwickeln, wenn er in kühnem Schwung ein Motiv einfing, mit wenigen Strichen das Wesentliche festhielt, oder mit ungezügelten Schraffierungen Akzente setzte. Ihr Pinsel war nicht nur ein Hilfswerkzeug, sondern er schien beseelt zu sein, wenn er über die Leinwand schwebte und Farbtupfer hinhauchte oder feine Linien zog, zurück zur Palette sprang, dort die Farben verrührte, um sie zum Leuchten zu bringen und sie ebenfalls zum Leben zu erwecken. Anima hatte den Schöpferfunken in sich. Und sie übertrug ihn auf mich, sie vermachte mir ihr Talent. Anders kann ich es nicht erklären, denn Talent ist nicht erlernbar, entweder man hat es, oder man hat es nicht. Ich hatte es nie besessen, und doch schaffte es Anima, mir ihr Können beizubringen, so daß ich ein anerkannter Künstler war, als sie auf diese tragische Weise aus meinem Leben trat.
Ich war stets sicher, nur dann arbeiten zu können, wenn
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