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Gib mir Menschen

Gib mir Menschen

Titel: Gib mir Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Vlcek
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einzig die Sünden meiner Generation haben diese Katastrophe verursacht. Die Mailänder würden diese Sünden nicht wiederholen, denn dazu waren sie gar nicht in der Lage … Möglich aber, daß ich sie unterschätzte. Sie entsprechen nicht meinem Idealbild vom Menschen, aber wer weiß, ob ich für sie nicht so etwas wie ein Neandertaler war. Ach, zum Teufel mit solchen Spekulationen!
    Es blieb die Tatsache, daß irgend jemand mich zusammengeflickt haben mußte. Ich kann nicht allein sein. Es muß noch andere meiner Art geben!
    »Was ist aus den anderen Tiefschläfern geworden?« fragte ich.
    »Gweckt«, sagte Poido.
    »Und wie viele waren es?«
    Er spreizte die Finger beider Hände und fächelte einige Male vor meinem Gesicht. Wenn er mir damit die Zahl der Kälteschläfer anzeigen wollte, dann mußten es an die hundert sein. Also war die »Gesellschaft für Gefrierbiologische Unsterblichkeit« doch expandiert.
    »Wohin habt ihr sie gebracht, Poido?« fragte ich. »Wohin sind sie gegangen?«
    Er hob einen Zeigefinger, hantierte an meinem Bett, und auf einmal rollte er mich damit zur Tür.
    »Wollen Sie mich zu den anderen Kälteschläfern bringen, Poido?« fragte ich hoffnungsvoll.
    »Rich’g«, bestätigte er.
    »Und wo sind sie?«
    »Scho sehn.«
    Ich sah seinen hauptlosen Schädel über mir und wie sich ein Speichelfaden aus seinem Mundwinkel dehnte. Er traf mich, bevor ich den Kopf abwenden konnte. Aber in mir kam kein Ekel auf.
    Poido fuhr mich mit dem Bett in einen langen Höhlengang hinaus. Die Wände bestanden aus nacktem Fels, nur der Boden war eben und mit einem grünlichen Belag bespannt. Links des röhrenförmigen Ganges waren Türen, die vermutlich in Krankenzimmer wie meines führten. Jeder Tür gegenüber lag das Panzerschott einer Tiefkühlkammer. Soweit ich innerhalb meines begrenzten Blickfelds sehen konnte, waren alle Schotte offen. Ich zählte sieben leere Kühlkammern. Acht, neun, zehn …
    »Bringen Sie mich nach draußen, Poido? Ins Freie?« fragte ich.
    »Nee. Ande Richug.«
    »Haben Sie Dr. Benkser gekannt, Poido?«
    Kopfschütteln.
    »Der wievielten Generation gehören Sie an?«
    Vor meinen Augen erschienen drei Finger. Sie verschwanden wieder. Ich hörte den Mailänder den Speichel einziehen, aber zu spät, etwas tropfte mir auf die Schläfe.
    Ein anderes Krankenbett kam uns entgegengerollt, das ebenfalls von einem Mailänder gefahren wurde. Ich strengte mich an, um den Kopf zu heben und sehen zu können, wer darin lag. Der andere rief Poido in fröhlichem Ton irgend etwas zu, was ich nicht verstehen konnte. Poido antwortete ebenso unverständlich. Als das andere Bett mit meinem auf gleicher Höhe war, erhaschte ich einen kurzen Blick darauf. Es lag nur ein Haufen Knochen darin. Unordentlich übereinandergetürmt, aber blankgeputzt. Ich hatte nicht lange genug daraufsehen können, um festzustellen, ob es sich um menschliche oder tierische Knochen handelte. Aber die makabre Fuhre kam aus der Richtung, in die ich gebracht wurde. Mich befiel ein beklemmendes Gefühl.
    Mein Gott, was haben die Hauptlosen mit mir vor?
    An wie vielen leeren Kältekammern waren wir nun schon vorbeigekommen? Fünfzig werden es schon gewesen sein. Obwohl der Röhrengang noch weiter führte, bog Poido mit mir nach links ein:
    Und dann war vor einer großen Panzertür auf einmal Endstation. Der Fels rund um die Tür war geschwärzt. Es war warm hier. Die Tür schwang auf. Dahinter Schwärze. Heiße Luft schlug mir entgegen.
    »Poido?« Mit krächzender, versagender Stimme.
    Keine Antwort. Ein glatzköpfiger Flachschädel erschien an meiner Seite. Er grinste dümmlich und zwickte mich übermütig in die Backe. Dann drehte er mich wie ein Stück Vieh auf den Bauch, knöpfte mir das hinten verknotete Nachthemd auf. Streifte es mir nach vorne, wälzte mich wieder auf den Rücken. Fachmännisch, der Mann verstand sein Geschäft. Dann öffnete er ein Ventil des Wasserbetts und ließ einige Liter ausfließen.
    »Net all’s«, klärte er mich auf. »Wea schmoat scho gean im eigen’ Fett.«
    Er schob mich mitsamt dem Bett in die dunkle Öffnung und schlug die Tür hinter mir zu. Dann ging darin eine kleine Klappe auf, durch die ein Lichtschein fiel. Die Klappe verdunkelte sich, und als ich den Kopf so drehte, daß sie in mein Blickfeld kam, sah ich durch das Guckfenster ein böse funkelndes Augenpaar.
    Über mir begannen die Grillstäbe zu glühen und verbreiteten einen rötlichen Schein.
    Ich brachte keinen Ton hervor,

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