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Gib mir Menschen

Gib mir Menschen

Titel: Gib mir Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Vlcek
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Führungskräfte, die Menschen, die Verantwortung hätten tragen können, wurden immer weniger, und bald war niemand da, der Ordnung in das Chaos hätte bringen können. Anarchie herrschte überall auf der Welt. Aggressionen wurden frei und führten zu den schrecklichsten Ausschreitungen. Ich pauschaliere nicht, Herr Hummer, sondern zeichne nur ein Gesamtbild. Mütter erschlugen ihre Kinder, weil sie entweder die chronische Mailänder hatten, oder weil sie befürchteten, daß sie sie bekommen könnten … Erregt Sie das alles nicht zu sehr, Herr Hummer?«
    »Sehen Sie sich mein EEG an«, erwiderte ich. »Ich bin ganz ruhig. Sie sagten, es bestehe noch Hoffnung.«
    Er blickte zur Seite und meinte:
    »Ja, Sie tragen es sehr gefaßt. Die anderen, die Diva, der General, dieser Gastronom und der griechische Reeder, der bald nach Ihnen ins Unsterblichkeitszentrum kam, sie alle waren nach meinem Bericht mit den Nerven völlig fertig. Aber Sie sind härter im Nehmen. Fühlen Sie sich stark genug, um aufstehen zu können?«
    »Wenn Sie keine Einwände haben …«
    Er schlug die Bettdecke zurück und war mir dabei behilflich, die Beine herumzudrehen, so daß sie über den Bettrand baumelten. Ich saß, und erstaunlicherweise erfaßte mich kein Schwindel.
    »Bleiben Sie erst einmal so«, riet Dr. Pretorius. »Der Kreislauf, Sie verstehen. Sammeln Sie sich, während ich fortfahre. Sie sollen die ganze Wahrheit kennenlernen. Aber ich will Sie nicht mit Katastrophenschilderungen belasten. Sie haben die Phantasie, sich die Apokalypse selbst auszumalen.«
    Er erhob sich und unternahm eine Wanderung durchs Zimmer.
    »Ich überlebte die weltweite Eskalation von Haß und Gewalt wie durch ein Wunder und kam zu Dr. Benkser«, fuhr er fort. »Damals glich das Unsterblichkeitszentrum bereits einer militärischen Festung und war zu einer Überlebensstation geworden. Aber nicht die nackte Existenz, nicht das bloße Überleben zählte, sondern es ging um die Erhaltung der Menschheit. Banden von Verrückten und Dahinsiechenden versuchten, die Überlebensstation zu überrennen, und mußten niedergemetzelt werden. Aber der Zweck heiligt die Mittel. Das tut er in Extremsituationen immer, Herr Hummer. Jeder muß Opfer für die Arterhaltung erbringen. Der eine, indem er sein Leben der Forschung widmet, der andere, indem er es dafür hingibt. Dr. Benkser starb einen Monat nach meinem Eintreffen. Er hatte die Mailänder und beging Selbstmord, um nicht im Zustand voranschreitender geistiger Umnachtung unsere Arbeit zu stören, wie er im Testament begründete. In diesem Testament bestimmte er auch mich zu seinem Nachfolger, weil ich erwiesenermaßen als einziger immun war. Alle anderen Mitarbeiter waren es nicht, wie sich nach und nach herausstellte. Sie starben alle, bis auf mich. Ich führe ihr Werk allein fort.«
    Als er wieder eine Pause machte, nahm ich all meinen Mut zusammen und stellte die Frage:
    »Soll das heißen, daß die Gehirnpest noch immer unheilbar ist?«
    Ich fürchtete mich vor der Antwort, und doch wollte ich meiner Ungewißheit ein Ende bereiten. Meine Erregung mußte sich auch auf dem EEG abzeichnen, denn Dr. Pretorius sagte beruhigend:
    »Regen Sie sich nicht auf, Herr Hummer. Nur nicht die Nerven verlieren. Warum glauben Sie, habe ich Sie als letzten geweckt? Sie nehmen eine Sonderstellung ein. Sie sind für mich wichtiger als alle anderen Tiefschläfer zusammengenommen. Aber darauf komme ich noch. Zuerst muß ich Ihnen noch einiges erklären. Ich habe gesagt, daß ich das Werk alleine weiterführe. Das stimmt nur bis zu einem gewissen Grad. Natürlich habe ich einige Mailänder als Helfer.«
    Ich erschrak, aber Dr. Pretorius hob beschwichtigend die Hände.
    »Keine Angst, ich habe nur die besten für die Überlebensstation ausgesucht und domestiziert. In der Tat, es sind bessere Tiere. Halbintelligenzen bloß. Keineswegs die neue Herrenrasse, sondern wilde Bestien und nur schwer zu zähmen. Aber wenn man die intelligenteren Exemplare abrichtet, dann sind sie für einfache Handlangerdienste zu gebrauchen. Ich wüßte nicht, was ich ohne ihre Hilfe tun sollte. Aber trotz allem, ich kann mich nicht damit abfinden, daß sie die Nachfolge des Homo sapiens antreten sollen. Oder wollen Sie, daß diese Kannibalen die Erde beherrschen sollen?«
    »Nicht, wenn es sich verhindern läßt«, sagte ich mit belegter Stimme. Dr. Pretorius machte mir auf einmal Angst. Der besonnene Mediziner hatte sich nun in einen glühenden Fanatiker

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