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Gib mir Menschen

Gib mir Menschen

Titel: Gib mir Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Vlcek
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Fragezeichen setzte ich im Geist. »Kräf’ges Stimmchen, dakleene!«
    Das Entsetzen hielt mich noch immer gepackt. Mein »Mailänder Baby« war erwachsen geworden. Und es hatte einen Bruder bekommen. Hinter dem einen Flachschädel tauchte ein zweiter auf. Er war behaart, und das milderte den Eindruck von einem abgeschnittenen Schädel. Aber dafür brachten die Haare die fingerhohe Stirn ganz zum Verschwinden, ihr Ansatz war direkt über den Augenbrauenwülsten.
    Unter den Köpfen flatterten weiße Gewänder: Ärztekittel vermutlich. Das Weiß wallte, und dann erschien ein Paar derber Hände. Ich habe zuvor noch nie so was von großen, schwieligen Händen gesehen.
    Aber es waren Hände auch voll Sanftmut. Sie strichen über mein Gesicht, berührten kurz meine Kopfwunde über den Ohren, zuckten jedoch sofort zurück, als ich meinem Schmerz stimmvoll Ausdruck gab, und zwei der gewaltigen Fingerkuppen legten sich wie Federn auf meine Augenlider.
    »Schlof ei’Kleena, schlof ei’.«
    Irgendwann gelang es mir, Schlaf zu finden. Wahrscheinlich pumpten mich die »Mailänder« mit Beruhigungsmitteln voll.
    Das war mein erster Eindruck von der neuen Welt, in der ich wiedergeboren wurde, und ich kann nicht sagen, daß ich großes Vertrauen in meine Betreuer setzte. Was konnte ich von diesen Halbdebilen schon erwarten? Ich hoffte, daß sich bald ein normaler Mensch zeigen würde, dessen Anblick mir vertraut war und mit dem man sich vernünftig unterhalten konnte.
    Mein Schlaf war von Alpträumen gezeichnet, aber zum Glück habe ich sie vergessen. Es war vermutlich so wirres Zeug, daß mein Bewußtsein es einfach nicht behalten konnte. Ich wurde nicht verrückt, nein, aber eine Zeitlang hielt mich der Fieberwahn gefangen. Es muß, zum Zeitpunkt des Erlebens, die schrecklichste Episode meines ganzen Leidenswegs gewesen sein, nur hat sie zum Glück keinen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Die Details haben sich verwischt und sind mir nur als unbestimmtes namenloses Entsetzen im Gedächtnis geblieben. Wenn ich nach Einzelheiten forsche, dann überkommt mich ein Schaudern, aber ich kann, zum Glück, sofort abschalten, bevor es dazu kommt, daß mein Unterbewußtsein die Schrecken freigibt.
    »G’sund.«
    Das war die Diagnose eines Mailänders, der mich an meinem Krankenlager besuchte, als ich mich wieder einigermaßen fühlte. Ich hatte überhaupt keine Schmerzen mehr, das Gefühl war völlig in meinen Körper zurückgekehrt. Ich konnte mich schon halb herumdrehen, die Arme leicht anheben und die Beine etwas anwinkeln. In regelmäßigen Abständen kam ein stummer Mailänder und massierte mich. Doch das schien mehr eine Alibifunktion zu sein, denn seine Massage bewirkte alles andere als eine Kräftigung meiner Muskeln, sie blieben schlaff, meine Ratschläge und Beschwerden ignorierte er einfach. Vielleicht war er auch taub. Er machte einen stupideren Eindruck als die anderen, wirkte gedrungener und kräftiger und hatte einen Unterkiefer wie ein Krokodil. Er machte mir Angst, faßte mich aber überaus zart an. Auf meine Bitte, mich ruhig fester durchzuwalken, reagierte er überhaupt nicht.
    Meine Ernährung erfolgte künstlich, intravenös, wenn ich mich nicht irre, und schon bald hatte ich bestimmt an die zwanzig Pfund zugenommen. Das bereitete mir etwas Sorge, denn selbst als medizinischer Laie weiß ich, daß ein überhöhtes Körpergewicht bei geschwächten Muskeln und Sehnen und bei eingerosteten Gelenken der Bewegungsfähigkeit nicht förderlich sein kann. Ich fühlte mich physisch zwar schwach, aber keineswegs kränklich. Nur in meinem Gehirn war eine stete Benommenheit, und ich versuchte, nicht ständig an meinen Tumor zu denken. Aber der Anblick der Flachschädel erleichterte mir das nicht gerade. Doch vielleicht hatte man mir das Geschwür bereits herausoperiert, oder sonstwie unschädlich gemacht. Um das zu erfahren, hätte ich jemanden sprechen müssen, der kompetent dafür war. Der Mailänder an meinem Krankenlager machte jedoch keinen solchen Eindruck.
    »Bin ich wirklich völlig wiederhergestellt?« fragte ich zweifelnd.
    »Kloa«, sagte der Hauptlose in wienerisch klingendem Dialekt und deutete mit seiner Pranke auf irgendwelche Instrumente im Hintergrund, er zog die Worte wie Kaugummi. »De Maschinan liagnet. Brauchst no a bißl Gewicht, dann’s ollas oke.«
    »Aber bin ich nicht jetzt schon zu schwer?« gab ich zu bedenken. »Wäre es nicht besser, meine schlaffen Muskeln zu regenerieren, statt mich zu mästen?

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