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Gib mir Menschen

Gib mir Menschen

Titel: Gib mir Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Vlcek
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Kälteschläfern geworden? Aus welchem Grund hat man mich geweckt? Gibt es endlich Heilung für die Gehirnpest?« Ich biß nun auf die Lippen, weil der Anblick meines Gesprächspartners eigentlich die Verneinung meiner letzten Frage implizierte. Aber andererseits mußten die Mailänder genügend Intelligenz und Können besitzen, wenn sie es geschafft hatten, mein Gehirn zurück in den Schädel zu verpflanzen. Oder aber hinter ihnen standen normale Menschen, die die Feinarbeit verrichteten, die Kältekammern bewachten und überhaupt für die Funktion aller Anlagen sorgten. Nach welchem System wurde eigentlich vorgegangen? Es mußten große Umwälzungen stattgefunden haben, und es mußte sehr viel Zeit vergangen sein, wenn es so viele Mailänder gab, die alle schon dem Kindheitsalter entwachsen waren. Wie alt würde das »Mailänder Baby« aus meiner Zeit heute sein? »Erzählen Sie, Poido. Was ist inzwischen alles passiert?«
    Er schüttelte die rechte Pranke und stieß dabei pfeifend die Luft aus. Bleckte sein mörderisches Gebiß, sagte:
    »Bißl vü’f amol, Daniejuma-Bubi. Nix Pest. Du gsund, i gsund.« Er tippte sich mit dem wurzelartigen Zeigefinger auf die Brust. »I Mai’nder Kr’eit, aba g’sund. Oke?«
    »Soll ich das so verstehen, daß die Gehirnpest sich gutartig entwickelte und infolge der Mailänder Krankheit ein neues Menschengeschlecht hervorgebracht wurde, dem Sie angehören? Gibt es nur noch solche Menschen wie Sie?«
    »Dua letz’«, sagte er bestätigend und tippte mir auf die Brust.
    »Ich bin also der letzte Homo sapiens«, stellte ich fest. Die Erde wurde von Menschen bevölkert, die alle so aussahen wie Poido.
    Das konnte nicht über Nacht geschehen sein. Ich versuchte den Ablauf in Gedanken zu rekonstruieren, denn aus Poido war das gewiß nicht herauszubekommen. Das Mailänder Baby mußte die erste von einer Reihe von explosionsartig ansteigenden Mißgeburten gewesen sein, die mit chronischer Gehirnpest zur Welt gekommen waren. Diese Kinder überlebten, während die Erwachsenen, die davon infiziert wurden, nach einem halben Jahr in Koma verfielen und zugrunde gingen, weil niemand sich um sie kümmern konnte. Die Pest mußte furchtbar gewütet und innerhalb weniger Jahre den Homo sapiens ausgerottet haben. Was für ein Massensterben! Vier Milliarden Menschen einfach dahingerafft, ohne Chance, sich gegen das grausame Schicksal aufzubäumen. Es mußte ganz schnell gegangen sein, gemessen am Alter des Menschengeschlechts konnte man den Zeitraum, in dem sich das große Sterben abgespielt hatte, als kosmischen Augenblick bezeichnen. Und während der Homo sapiens noch in den letzten Zuckungen lag, war das neue Geschlecht herangereift. Flachschädelige Mutanten mit fliegengewichtigen Gehirnen, deformiertem Knochengerüst und mit Gebissen, um die die Primaten sie beneidet hätten. Das waren keine Kauwerkzeuge mehr, sondern Reißwerkzeuge wie von Raubtieren. Wozu die Evolution zehntausend Generationen und mehr gebraucht hatte, war innerhalb einer einzigen zunichte gemacht worden. Eine Laune der Natur? Oder ein Zuchtergebnis, für das der Mensch selbst verantwortlich war, der in seiner Hybris die Natur versuchte und mit kosmischen Kräften spielte. Massenselbstmord also? Und gleichermaßen Rassenselbstverstümmelung, indem für zerrbildhafte Nachfolger gesorgt wurde. Clowns, die dem Vorbild des Homo sapiens spotteten. Verhöhnung durch ein grausames, aber vielleicht gerechtes Schicksal. Wenn das die Sühne für die Verseuchung des eigenen Lebensraums war, dann hatte die Menschheit für ihre Verfehlungen bitter bezahlen müssen.
    Kein Hoffnungsschimmer?
    War ich der letzte Mensch inmitten von Giftgas-Freaks, nuklear- oder bakteriologisch geschädigten Monstren? Der letzte Saurier sozusagen, ein Schauobjekt und abschreckendes Beispiel für das neue Geschlecht der Hirnlosen? Ich war ungerecht, ich weiß, und zwar in mehrfacher Beziehung. Abgesehen davon, daß es sich diese Geschöpfe nicht ausgesucht hatten, diskriminierte ich sie noch und legte völlig irrige Wertmaßstäbe an. Von nun an waren sie das Maß aller Dinge. Die neuen Herren der Erde! Daß ich mich hundeelend fühlte, war eine andere Sache. Nach allem, was ich während des Kälteschlafs physisch durchgemacht hatte, nun auch noch das.
    Aber: Die Mailänder – ich scheute mich plötzlich, sie Flachschädel oder Hauptlose zu nennen – waren die Opfer, nicht ich. Ich gehörte zu den Schuldigen, die den Homo sapiens gemordet haben, denn

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