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Gib mir Menschen

Gib mir Menschen

Titel: Gib mir Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Vlcek
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und einen wissenden Ausdruck hinein. Für mich war Dr. Pretorius wie die Erscheinung eines Engels, denn er war kein Flachschädel, sondern sah aus wie ein Durchschnittsmensch aus meiner Zeit. Da er mir in diesem Punkt die Wahrheit gesagt hatte, schenkte ich ihm sofort mein Vertrauen.
    »Ich war schon mal in diesem Raum«, sagte ich, nachdem ich mich gezwungen hatte, den Blick von ihm zu lösen und mich umzusehen. Ich stützte mich unwillkürlich auf und wurde mir erst im Nachhinein bewußt, daß mir das keine Schwierigkeiten bereitete. »Das ist dasselbe Krankenzimmer wie in meinem Traum. Soweit ich das beurteilen kann, stimmt es in allen Einzelheiten überein. Wie ist das möglich?«
    Mir wurde etwas heiß. Ein Blick in Dr. Pretorius’ Augen dämpfte meine Erregung. Er zeigte sich nicht im mindesten überrascht.
    »Das hat schon seine Ordnung«, sagte er. »Ich sagte schon, daß ich für Ihren Traum verantwortlich sei. Ich habe während der Erweckung Ihrem Gehirn entsprechende Impulse gegeben, um Sie auf die Bedingungen, die Sie beim Erwachen antreffen würden, vorzubereiten. Nur habe ich eben etwas zuviel des Guten getan, das war mein Fehler. Als ich dann das EEG-Diagramm sah, schaltete ich sofort ab. Können Sie mir verzeihen?«
    »Ich verzeihe Ihnen alles«, sagte ich und ließ mich auf mein Lager zurücksinken. Wer schon im Kochkessel der Kannibalen war und dann erfährt, daß alles nur Einbildung war, der kann nicht nachtragend sein, sondern empfindet nur Dankbarkeit. Ich murmelte mit geschlossenen Augen: »Es ist schön zu wissen, nicht der letzte Homo sapiens zu sein. Sie sind ein Mensch wie ich, Dr. Pretorius, das zeigt mir, daß die Mailänder Krankheit nicht die gesamte Menschheit ausgerottet hat.«
    Meinen Worten folgte Stille, und in diese hinein sagte Dr. Pretorius ernst:
    »Aber fast wäre es dazu gekommen. Es gibt nur noch wenige Menschen wie Sie und mich, Herr Hummer. Bitte, regen Sie sich nicht auf, ich konnte Ihnen das nicht schonender beibringen. Wenn Sie sich erst einmal mit dieser Tatsache abgefunden haben, dann können wir uns über die Einzelheiten in Ruhe unterhalten. Sie müssen umdenken, die Erde ist nicht mehr so, wie Sie sie in Erinnerung haben. Sie wird von den Mailändern beherrscht, den Flachschädeln, wie Sie sie nennen. Wir sind nur eine verschwindende Minderheit. Das Unsterblichkeitszentrum ist eine der wenigen Bastionen des Homo sapiens. Aber wir stehen mit den anderen Forschungszentren in Verbindung und haben die Hoffnung längst noch nicht aufgegeben.«
    Ich hatte während seiner Ausführungen Zeit gefunden, mich zu sammeln, und was er mir eröffnete, setzte mir überraschenderweise gar nicht so arg zu. Mein Alptraum hatte doch etwas Gutes gehabt, ich hatte allen Grund, Dr. Pretorius wirklich dankbar zu sein. Vielleicht hat er mir diesen Alptraum sogar ganz bewußt verabreicht, als gezielte Übertreibung, damit ich nachher Erleichterung darüber empfinde, daß alles nicht so schlimm ist. Diesen Zweck hat er erreicht. Ich war ganz ruhig.
    »Dann hat der Traum in dieser Beziehung nicht gelogen«, stellte ich fest.
    »Erzählen Sie mir, was Sie im Traum über die Geschehnisse der letzten siebzig Jahre erfahren haben, damit ich Ihr Wissen ergänzen und korrigieren kann«, bat er.
    Und ich erzählte ihm den ganzen Traum, in allen Einzelheiten. Das erleichterte mich noch mehr, weil ich nun hoffen durfte, daß er sagte, das sei alles maßlos übertrieben, das Produkt einer krankhaften Phantasie. Aber er sagte:
    »So war es in etwa. Die Menschheit wurde von der Gehirnpest dahingerafft. Nur einige wenige überlebten und versuchten, ein Gegenmittel zu finden. Es war ein Lichtblick, daß nicht alle Neugeborenen an chronischer Gehirnpest litten. Aber viele der normalen Babys starben, weil niemand da war, der sie versorgen konnte.«
    Er machte eine kurze Pause, dann fuhr er fort:
    »Ich bin ein Zeitgenosse von Ihnen, Herr Hummer, deshalb fühle ich mich kompetent, einen authentischen Bericht über die Katastrophe zu geben. Ich bin einer der Immunen, denen die Gehirnpest nichts anhaben konnte. Ich kann Ihnen nicht beschreiben, wie hilflos ich mich in einer Welt fühlte, die unaufhaltsam ihrem Untergang zustrebte. Die Gehirnpest breitete sich explosionsartig aus, niemand war dagegen gefeit. Der Tod schlug wahllos zu, es war wie eine atomare Kettenreaktion, nur daß sie auf dem biologischen Sektor stattfand. Politiker und Wissenschaftler starben wie die Fliegen. Bald war die Wirtschaft ohne

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