Gibraltar
Preis«, erklärte Feldberg weiter, »ist das eine Problem. Das andere ist, dass einige Kontrahenten ihr Geld nicht bekommen haben.«
»Und das heißt?«, fragte Thomas’ Mutter.
»Das heißt, dass nun alle Transaktionen geprüft werden müssen, bis wir den Fehler gefunden haben.«
»Reden wir von einem Fehler«, fragte Valeries Mutter mit augenscheinlichem Stolz auf ihre feinsinnige Wortverwendung, »oder von einer Verfehlung ?«
Feldberg nahm die Brille ab, er wirkte verlegen. »Wir müssen abwarten«, sagte er schließlich. Thomas konnte förmlich hören, dass der Nebensatz, auf den es eigentlich ankam und auf den alle, wie er, zu warten schienen, ungesagt blieb. Abwarten, bis was geschah? Es entsprach, wie er wusste, nicht Feldbergs Gepflogenheiten, ungesicherte Behauptungen zu verbreiten. Er war in seinen Eigenschaften als Johann Alberts’ Generalbevollmächtigter und Sprecher der Bank derartig mit seiner Rolle verwachsen, dass es für ihn keinerlei Unterschied machte, ob er sich mit seinen Auskünften an die Märkte oder den inneren Kreis der Familie richtete; Thomas wusste, mehr als diese ersten Einschätzungen würden sie nicht zu hören bekommen, sosehr sie auch in ihn dringen würden. Was, aus Respekt vor Feldbergs natürlicher Diskretion, ohnehin niemand zu tun wagte.
Die Unterhaltung, die Thomas vorhin vom Flur aus hatte hören können und die anzeigte, dass keinerlei Missklang die Harmonie störte, erstarb jetzt.
Schließlich durchbrach Thomas die allgemeine Betroffenheit, indem er an Valeries Mutter gerichtet fragte: »Haben Sie eine Idee, warum Ihr Mann ausgerechnet jetzt –« Er brach ab, denn in diesem Moment ging ihm auf, wer die Frau war. Zwei verschwundene Männer. Ihr Nachname war nicht Milbrandt. Sondern Sudek.
Valeries Mutter sah ihn teils süffisant, teils skeptisch an; er konnte sehen, dass sie ihn gleichsam im Vollzug seiner Erkenntnis beobachtete. »Sie erkennen mich wohl nicht?«
»Entschuldigen Sie«, sagte Thomas, »aber –«
»Sie sind der Ratgeber«, sagte Valeries Mutter liebenswürdig, und eine Wolke ihre Parfums wehte zu ihm herüber, wie um ihn, wie er augenblicklich denken musste, ganz für sie einzunehmen. Entweder der intensive Geruch oder aber ihre Anrede, die ihn in dieser Runde peinlich berührte, betäubten ihn; es war, als hätte sie soeben eine alberne Geheimidentität gelüftet, in der er, angekleidet mit Maske, Cape und Strumpfhose, zu nächtlicher Stunde die Lieblingscomics seiner Kindheit nachspielte.
»Ja«, sagte er verwirrt. Jetzt, plötzlich, erkannte er auch ihre Stimme und fragte sich, wie ihm die Verbindung so lange hatte verborgen bleiben können; die Fäden, die sich in seinem Kopf verknäuelt hatten, entflochten sich und liefen in alle Richtungen auseinander.
»Sie haben Ihren Mädchennamen behalten«, sagte Thomas.
»Ja, richtig«, begann Frau Sudek nun dankbar, »wir sind alle Individualisten in unserer Familie.« Sie lachte, spitz und durchaus unangemessen, um dann hastig fortzufahren. »Wir haben alle unterschiedliche Namen, was sicher auch damit zu tun hat, dass ich Künstlerin bin und Valerie –«
»Danke, Carmen«, sagte Valerie, und die unbeteiligte Vehemenz, mit der sie ihrer Mutter das Wort abschnitt, frappierte Thomas.
»Entschuldige, Valerie, du hast ja völlig recht , dass ich hier so über dich –«
Und Valerie wiederholte mechanisch: »Danke, Carmen.« Der Dialog hätte witzig sein können, dachte Thomas, doch dazu war Frau Sudeks Gebaren zu exaltiert und Valeries Reaktion zu offen ablehnend.
Eine Weile musste er wohl mit offenem Mund vor sich hingestarrt haben. Dann sagte Frau Sudek, zur gesamten Runde gewandt: »Ich bin seine Klientin. Ist das nicht verrückt?« Die Unangemessenheit ihrer Heiterkeit schien sie nicht weiter zu bekümmern, sofern sie ihr überhaupt auffiel. Ihr Auftreten bekräftigte jene Abneigung, die Thomas bisher schon allein telefonisch gegen sie entwickelt hatte.
»Wie sind Sie an meine Nummer gekommen?«, fragte er, sich langsam fangend.
»Durch einen Werbezettel, ich glaube, Bernhard hat ihn mitgebracht.«
»Bernhard? Woher hat er ihn mitgebracht?«
»Na ja, ich denke doch … von seiner Arbeit … nicht?«
Thomas, der sich erinnerte, tatsächlich solche Zettel in Banken, niemals allerdings im Bankhaus seines Vaters verteilt zu haben, wollte eine weitere Frage stellen, doch mit ungewohnter Entschiedenheit mischte sich seine Mutter in die Unterhaltung: »Ist das denn jetzt so
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