Gibraltar
der neben ihm stand: »Sie können doch sicher feststellen, ob die Chronik gelöscht wurde.«
Der Administrator sah mit indignierter Herablassung an Thomas hinunter. »Sicher kann ich das.«
»Und bestimmt können Sie dann auch sehen, was gelöscht wurde.«
»Wer sind Sie denn eigentlich?«
Das Freischalten der gelöschten Daten, nachdem Thomas sich als Alberts-Sohn mehr ausgegeben als vorgestellt hatte, dauerte nur wenige Minuten. Im Internet Explorer fand er Hunderte von besuchten Webadressen; die älteren darunter waren Wirtschaftsportale mit Berichten zur gegenwärtigen Schuldenkrise um Griechenland. Weiter oben fand er Seiten spanischer Immobilienfirmen, auf denen Bauprojekte an der andalusischen Costa del Sol beworben wurden. Die Seiten waren, ihrer Chronologie zufolge, nach einem Muster aufgerufen worden, so als hätte Bernhard nach einem bestimmten Unternehmen gesucht. Außerdem stieß er auf die Homepage einer Offshore-Bank auf Gibraltar. Thomas kopierte die Adresse, setzte sie im Suchfeld von Google Maps ein und stellte fest, dass eine Route dorthin bereits ausgerechnet worden war; sie wurde automatisch angezeigt.
Als knapp eine halbe Stunde später Frank Brehms zurückkam und Thomas ihn beiläufig nach den Ergebnissen seiner Überprüfungen fragte, sah Brehms ihn an, als sei er sich über die erforderliche Sicherheitsstufe seiner Information noch nicht im Klaren. Thomas widerstrebte es, sich abermals als Sohn des Gesellschafters anzubiedern; er überließ es Brehms, ihn einzuweihen oder nicht.
»Wenn die Aufsicht davon Wind bekommt«, begann Brehms vorsichtig und senkte dazu die Stimme, »machen die uns den Laden schneller dicht, als wir die Nummer unseres Anwalts tippen können.«
»Wovon Wind bekommt?«, fragte Thomas.
Noch leiser als vorher antwortete Brehms: »Sieht aus, als hätte er uns abgezockt. Richtig, richtig abgezockt.«
Thomas nickte und sagte ebenso leise: »Ich glaube, ich weiß, wo er ist.«
8
Im Doppelzimmer des Holiday Inn in Montpellier erwachte Thomas zwei Tage später mit einem Gefühl unwiderruflicher Entschiedenheit. Er hörte Vögel durch die geschlossenen Fenster, die Sonne schien; trotz leichter Verspannungen fühlte er sich gestärkt und ausgeruht. Valerie, mit ihm zugewandtem Rücken, schlief auf der anderen Seite des Doppelbetts.
Als er sich aufsetzte und ins Badezimmer ging – ein vertrautes Gefühl, was das Hotel betraf –, erinnerte er sich des gestrigen Abends, an dem er vom Steuern des geradezu anachronistisch bequemen 1979er Mercedes-Benz 280 SE erschöpft gewesen war. Sein Vater hatte den Motor vor Jahren auf unverbleites Superbenzin umrüsten lassen; der Verbrauch allerdings von beinahe 16 Litern auf 100 Kilometer war davon unberührt geblieben. Das Gefährt fuhr sich, anders als sein spritsparender VW -Transporter mit Hybridantrieb, wie eine Sänfte; man gewann nicht, wie in jenem, durch seine erhöhte Sitzposition an Übersicht, sondern versank geradezu in den weichen Polstersitzen, ließ sich vom gemächlichen Schaukeln, das die Bodenwellen über das Fahrwerk ins Chassis übertrugen, in eine Art Reisetrance versetzen und glitt so angenehm und selbstverständlich dahin, dass dem Ziel kaum mehr eine Bedeutung zuzukommen schien.
Beinahe zwölf Stunden selbstgenügsamer Fahrt hatten ihn vollkommen desorientiert. Bei Lyon hatten Valerie und er eine Kleinigkeit essen und dann ein Hotel suchen wollen; ihr Weg hätte sie des nächsten Tages über Montpellier geführt, das, wie Thomas so unvorsichtig gewesen war zu sagen, am Meer lag; doch waren es bis dahin noch 300 Kilometer, die mindestens drei weitere Stunden Fahrt bedeuteten; Thomas hatte nicht beabsichtigt, die Strecke noch am selben Abend zu bewältigen. Langsam brach die Dunkelheit herein; Sol Moscot, der die ganze Zeit über entweder auf dem Rücksitz oder in Valeries Fußraum gesessen hatte, wo er sich immerhin hinter den Ohren kraulen lassen konnte, benötigte Futter und Auslauf; er selbst wollte ein schmackhaftes Abendessen zu sich nehmen, dazu etwas Rotwein trinken, ein Hotel suchen und früh zu Bett gehen, um für Weiterfahrt, Ankunft und vor allem die folgende Aufgabe gestärkt zu sein.
Er war, bei allem Komfort, angestrengt von der Fahrt. Valerie, wenn sie redete, redete in großen, nahezu gleichzeitigen Sprüngen, wie eine fragile Vase im Moment ihres Splitterns. Das Aufsuchen der passenden Nahtstellen, um die Teile wieder in Verbindung zu bringen, bereitete Thomas
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