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Gibraltar

Gibraltar

Titel: Gibraltar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Reh
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Spanien. Er ist ganz sicher nicht tot.«
    Thomas sitzt neben ihr auf der Bank, aber auf der Lehne. Seine Füße stehen auf der Sitzfläche; er sitzt höher als sie. Von der Yorckstraße her hört sie leise den nächtlichen Verkehr, es ist verwunschen hier und schön, auch wenn das im Moment keinem weiterhilft. Die Stimmen sind leise, leise. Kein Wort zu verstehen. Sie ist schläfrig.
    »Als ich vorhin in der Bank war, habe ich Hinweise gefunden, die darauf hindeuten, dass er wirklich dort sein könnte. In Spanien.«
    Sie will nichts wissen von Hinweisen und Hindeuten, stützt den Kopf in die Hände und hält sich die Ohren zu. Sie hat keine Ahnung, was sie hier wollte, er erzählt das Gleiche wie ihre Mutter, wahrscheinlich hat er   Anweisungen   bekommen und   darf   nur erzählen, was ihre Mutter erlaubt, warum bist du da eigentlich nicht schon früher draufgekommen, Valerie, und wahrscheinlich wird er für den Rest der Nacht nicht aufhören, ihr zu erzählen, dass er diesen und jenen Beweis gefunden hat, aber in Wirklichkeit sind es nur irgendwelche Zettel, mit denen ihre Mutter oder wer auch immer alles umbeschriftet hat.
    Lange dauert es, bis sie ihre Ohren wieder freigibt und sich traut, den Kopf zu heben. Thomas wartet, so lange es dauert, bis sie bereit ist, ihm zuzuhören. Dann sagt er: »Du musst nicht entscheiden, ob ich dich belüge oder nicht. Ich fahre nach Spanien. Morgen. Ich fahre dorthin und suche Bernhard. Er ist dort. Ich bin absolut sicher. Wenn du willst, nehme ich dich mit.«

4
    Das Auto ist ein Mercedes und sehr bequem, es gehört Thomas’ Vater, man merkt darin die Zeit nicht, die vergeht, außer wenn man irgendwann pinkeln muss. Der Wind, der durch das offene Fenster kommt, übertönt die Stimmen, und überhaupt ist sie ziemlich froh, als sie einmal losgefahren sind, ohne zu wissen, warum. Sie merkt genau, dass Thomas nicht froh ist, immerhin liegt sein Vater im Koma. Andererseits findet sie schnell heraus, dass auch das nicht die ganze Wahrheit ist. Es hat mit ihr zu tun, nur mit ihr.
    »Es ist sehr nett von dir, dass du das für mich tust«, sagt sie. Links und rechts nur Leitplanke und Laternen und ein Land, das aussieht wie Industriebrache mit ein bisschen Gestrüpp darauf. Es deprimiert sie, dass ein Land, durch das man im Auto fährt, von der Autobahn aus immer so trostlos aussieht.
    »Ist das eigentlich in anderen Ländern auch so?«
    »Was?«
    »Dass das Land von der Autobahn aus so trostlos aussieht.«
    »Hör mal, ich hab gerade –«, fängt Thomas an, aber es fällt ihr sehr schwer, ihm zuzuhören, sie ist müde, und sie denkt nicht nur an das Land und die Autobahn, sondern an viele andere Dinge, die einen destabilisierenden Einfluss auf ihr Leben ausüben, wie ihr letzter Arzt in der Akuten das genannt hat. Destabilisierend ist zum Beispiel, dass ihr Leben komplett in sich zusammengestürzt ist, kaum, dass es mal einigermaßen normal aussah. Sie hatte gerade angefangen, die Stromkabel miteinander zu verbinden, es hatte eben begonnen, Energie zu fließen. Zwar immer noch ohne Ausbildung, und ihr Studium lief auch scheiße – wenn es überhaupt lief –, aber sie konnte morgens zu einer Arbeit gehen, die ihr Spaß machte und wo die Leute nett waren, sie konnte sich in der Mittagspause in der Atelierküche eine Tütensuppe kochen, ohne dass sie jemanden um Erlaubnis fragen musste, und einmal im Monat kam auf Falbs Kosten der Osteopath ins Atelier und fand bei allen irgendwelche mysteriösen Verknotungen und Verkrampfungen, die er durch Fingerauflegen heilte, und am Nachmittag kam sie erschöpft, aber glücklich nach Hause, manchmal machte sie das Radio an und erst wieder aus, wenn statt Musik irgendwelche Zugunglücke oder Tsunamikatastrophen durchgesagt wurden oder Mist über sie erzählt wurde, und wenn es gut lief, traf sie sich am Abend mit Anne oder Cynthia oder mit Nils, und wenn es dann   ganz   perfekt lief, schliefen sie und Nils miteinander, und er blieb bis zum nächsten Vormittag. Und dann – dann hat Nils sie hinter ihrem Rücken   abgezockt , vielen Dank auch für die Kreditkarte, Bernhard. Und so zerbröckelt die Kulisse dessen, was sie bis vor kurzem besessen hat, vor ihrem inneren Auge zu Trümmern und Staub, und was bleibt, ist der Gedanke an Nils, und wie er ihr so etwas hatte antun können. Wegen   Geld .
    Da ist zum Beispiel dieses Bild von ihrer Mutter auf dem Fahrrad, als sie Bernhard noch nicht kannte und nicht mit dem Auto, sondern mit dem

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