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Gibraltar

Gibraltar

Titel: Gibraltar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Reh
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nicht betreten hatte. Er klammerte sich an den Gedanken, die Sachen aus irgendwelchen Gründen wieder im Wagen verstaut zu haben, bevor er zum Strand gegangen war, doch er wusste, dass das Unsinn war. Er durchsuchte den Wagen gründlich, verzweifelt. Sinnlos. Er rannte auf die Straße, sah sich um. Zwecklos. Schweiß lief ihm in die Augen. Die Sonne wie ein Speer.
    Irgendwann kehrte er in das Haus zurück. Gedanken schossen durch sein Gehirn wie Flipperkugeln, ohne Aussicht auf irgendeinen Gewinn.
    Er stieg in den Wagen und fuhr los, hinunter zur Küstenstraße, dann Richtung Süden. Nach einer Weile fühlte er, wie ein Teil seiner Energie wieder in ihn zurückströmte. Was ihm endgültig seine Handlungsfähigkeit zurückgab, war der Gedanke an das Geld. Er musste online bleiben. Es so schnell wie möglich transferieren. Er brauchte einen Computer.
    Er fuhr zurück zum Carrefour und wiederholte all seine Einkäufe, nahm noch eine Sporttasche, bezahlte an einer anderen Kasse, lud die Sachen in den Wagen. Kehrte in den Supermarkt zurück, kaufte ein Netbook mit langer Akkulaufzeit und einen Prepaid-Internetstick. Setzte sich in das Café Los Barrios direkt neben dem Carrefour, schloss den Computer ans Stromnetz an, installierte die Software, konfigurierte den Internetzugang. Es dauerte zwei Stunden, mal funktionierte das Kennwort nicht, dann brach ohne erkennbaren Grund die   UMTS -Verbindung ab. Als er es geschafft hatte, war sein Hemd völlig durchgeschwitzt.
    Auf   CNBC   sprudelte noch immer das Öl in den Golf von Mexiko. In Griechenland warfen sie Steine. Dann eine Anhörung vor dem   US -Kongress:
    Goldman Sachs hatte seinen Kunden 2008 wertlose Hypothekenpakete angedreht und intern auf deren Ausfall gesetzt. Sie hatten sich erwischen lassen. Der Senator setzte Lloyd Blankfein unter Druck: »You knew it was a shitty deal!« Es war nicht mit anzusehen, wie Blankfein sich wand. Wie ein Ministrant, den sie beim Wichsen erwischt hatten. Würdelos.
    Während der Akku des Netbooks lud, trat er hinaus und wartete. Der Nachmittag war angebrochen. Auf dem Parkplatz, einen Cortado in der Hand, empfand er für einige Augenblicke ein Gefühl der Gelöstheit. Er hatte seine Situation im Griff. Er war Herr seiner selbst. Ein betrunkener Schwarzer improvisierte auf seiner Gitarre und grölte dazu erfundene Textzeilen. Ihm fiel auf, dass überall Müllsäcke herumstanden, seit Tagen, vielleicht seit Wochen. Man konnte den Müll deutlich riechen. Er hatte ihn nicht bemerkt.
    Er packte alles ein, setzte sich in den Wagen und fuhr zurück. Ein paar Kilometer weiter, bei La Duquesa, fand er eine weitere Siedlung, allerdings schon in der Rohbauphase gestoppt. Er spielte mit dem Gedanken, trotzdem einzuziehen: Mit dem Fehlen von Strom und fließendem Wasser musste er überall rechnen. Die Nächte waren schon mild, und für den Durchzug hätte ihn Meerblick entschädigt. Aber er wusste, wie das Meer aussah. Er wollte Jalousien. Und eine Tür, die er verriegeln konnte.
    Die Dämmerung brach herein. Alle Objekte, die er in umliegender Nähe gefunden hatte, waren bei näherer Betrachtung ungeeignet. Manche lagen zu dicht an bewohnten Siedlungen, bei anderen fehlten passierbare Straßen. Die meisten waren Ruinen, bloße Gerippe aus Mauersteinen und Mörtel, archaischen Kultstätten ähnlicher als Häusern.
    Es war bereits dunkel, als er zurück in der Siedlung war. Er fuhr ganz ans Ende, zu den letzten Häusern, versteckte wiederum den Wagen und schlich durch den Patio. Diesmal warf er keine Scheibe ein, sondern schraubte die Vergitterung des Kellerfensters heraus, drückte den Rahmen ein und zwängte sich hinunter. Die Tür zum Wohnraum war unverriegelt, auch die Hintertür konnte er entriegeln und den Wagen entladen. Es war der gleiche Grundriss, die gleichen Jalousien, die gleichen funktionslosen Wasserhähne. Er trank ein paar Becher Whiskey, blies die Luftmatratze auf und legte sich schlafen.
    Irgendwann schreckte er auf, das Maklerschild knallte im Rhythmus der Windböen gegen die Hauswand. Es war Nacht. Sein ganzer Körper hatte sich verkrampft. Erst jetzt, als die Wirkung des Alkohols nachließ und er die Panik mit routinemäßigen Handgriffen bekämpfen wollte, fiel ihm auf, dass sein gesamter Tablettenvorrat in der Tasche gewesen war.

8
    Es war das erste Mal gewesen, dass er es bis ins Hotelzimmer geschafft hatte. Gewöhnlich klickte er sich nur durch die Vorschläge, die das Portal machte. Drei, vier Frauen am Tag. Oft

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