Gibraltar
waren es dieselben, meistens ohne Fotos, oder mit falschen. Es kam vor, dass Professionelle dabei waren, man erkannte sie an ihren lieblos ausgedachten Nicknames oder den überzogenen Posen. Er hatte es schon mit ihnen versucht, das Geld störte ihn nicht. Sie schafften es nur nicht, ihn zu erregen. Es reichte nicht einmal für einen Blowjob. Es reichte für gar nichts.
Die anderen Daterinnen waren richtige Menschen. Er schrieb mit ein paar von ihnen E-Mails. Meist ging es um wechselnde Positionen, Praktiken, um Ekstase und Leidenschaft. Oder etwas in der Art. Das Tippen ging ganz von allein. Das alles erfüllte seinen Zweck, und es reichte, um weiterzumachen.
Als das nicht mehr genug waren, kamen die Treffen. Meist hatte er da schon eine ungefähre Vorstellung von der Frau: von ihrer Intelligenz, dem Vokabular, ihrem Humor. Er hätte nicht sagen können, dass er sie kennenlernen, mit ihnen etwas anfangen wollte. Aber es reizte ihn. Also machten sie ein Hotel aus. Beim ersten Mal schaffte er es nicht einmal bis in die Stadt. Beim zweiten Mal kam er bis zur Lobby, machte aber wieder kehrt, als er eine Mutter mit einem kleinen Kind sah. Danach hatte er eine ganze Weile keine Kontakte gesucht. War geheilt. Hatte sich auf seine Deals eingeschossen und morgens kalt geduscht.
Dann fing es wieder an. Er bekam einen Kontaktvorschlag. Die Vorlieben stimmten zu 98 Prozent mit seinen überein: Oralsex, Analsex, Fesselspiele, S/M. Küssen optional. Das Foto war unkenntlich. Was den Ausschlag gab, war die Art, wie sie schrieb. Sie hatte Humor. Sie sagte geradeheraus, was sie wollte. Es müsse nicht perfekt sein, aber sie wolle lernen. Neues erfahren.
Das gefiel ihm. Gegen seine Nervosität trank er zwei Whiskey, dann fuhr er in die Stadt. Parkte im Parkhaus am Baseler Platz und ging die paar Schritte zum Méridien. Versuchte, an nichts zu denken. Fragte sich, was er sich versprach und was es ändern würde.
Das Zimmer sah einladend aus. Wie aus einem Einrichtungskatalog. Er zog die Vorhänge zu, schaltete den Fernseher ein und sofort wieder aus. Börsennachrichten. Holte eine Flasche Champagner aus der Minibar, stellte zwei Gläser auf den Beistelltisch. Zog den Mantel aus. Wartete.
Mehrere Male war er kurz davor, zu gehen. Sein Herz hämmerte. Er war viel zu früh gekommen. Wenn er aus dem Fenster sah, bildete er sich ein, nur Bekannte zu sehen. Er hatte nicht die geringste Lust auf Sex.
Dann klopfte es. Für einen Augenblick dachte er daran, nicht aufzumachen. Er würde ganz still bleiben, unentdeckt, irgendwann würde sie wieder gehen. Aber er würde es wieder versuchen. Und wieder. Würde nicht davon loskommen.
Bei ihrem Anblick blinzelte er, die Luft wich aus seiner Lunge wie nach einem Punch. Es dauerte trotzdem nur einen Augenblick, bis er ihr Hiersein akzeptierte.
»Das ist nicht dein Ernst«, sagte er. Er war überzeugt, dass sie ihn verfolgt hatte. Hatte er nicht draußen eine Frau gesehen in solch einem grünen Mantel? Aber ihr Gesichtsausdruck passte nicht. Sie sah überrascht aus. Sogar zu Tode erschrocken. Blickte sich zu beiden Seiten des Gangs um. Fluchtreflex. Es war nicht zu übersehen, dass sie in Panik war. Panik bei ihr bedeutete, dass mit einem Angriff zu rechnen war.
»Du … Scheißkerl«, sagte sie. Irgendwas entgegnete er darauf. Es reichte für einen Streit. Wenigstens den Anfang davon. Dann kam eine Putzfrau mit ihrem Reinigungswagen, er ließ Carmen herein. Sie zog weder den Mantel aus, noch legte sie die Tasche ab. Sah sich im Zimmer um. Angewidert.
»Bist du mir gefolgt?«, fragte er, obwohl er die Antwort kannte. Er sah, dass es hinter ihrer Stirn arbeitete, dass sie prüfte, ob das ein Ausweg für sie war. Dann sagte sie: »Nein. Was bildest du dir ein?«
Das Sprechen holte ihn in die Realität zurück. »Ich hätte nicht gedacht, dass du so was wirklich machst«, sagte er. »Dachte, du redest immer nur.«
Sie schnaufte verächtlich. »Wie kannst du nur? Ich habe gedacht …«
»Was hast du gedacht? Du bist auch hier. Überleg dir gut, was du sagst.«
»Ich soll … glaubst du, du bist in der Position, mich zu belehren? Was glaubst du, was hier besser klappen wird? Hast du wenigstens eine Packung Viagra mit? Könnte sonst ein kurzes …«
»Oh, Carmen.« Sie war den Tränen nahe, aber er wusste, das war blanke Wut. Darüber, dass sie die Kontrolle nicht hatte. Dass nicht sie die Spielregeln gemacht hatte.
»Ich hab das immer für dich getan«, sagte sie. Jetzt kamen Tränen.
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