Gibraltar

noch die Gebrauchsanweisung durchackern.« Da hatte sich Carmen schon umgedreht und sich an den Rest ihrer Gäste gewandt: »So, meine Freunde, es gibt gleich was zu essen, mein Mann ist gerade gekommen und kümmert sich jetzt um den Ofen.«
    Sie lächelte ihn an. Es war nicht witzig, und sie wusste es. Seine Eingeweide wie entzündet. Er lächelte zurück, freundlich. Lächelte sie alle an. Stellte das Weinglas ab und krempelte seine Hemdsärmel hoch. Man witzelte, lachte, applaudierte. Wie feixende Monster.
    Der Backofen hatte ungefähr hundert Programme: Heißluft, Unterhitze, Heißluft und Unterhitze, Heißluft und 1/3 Unterhitze, Ober- und Unterhitze, 1/3 Oberhitze mit Heißluft. Dazu dämpfen, garen, grillen. Zuerst musste man die Uhrzeit einstellen, das Datum, die Benutzersprache, Celsius oder Fahrenheit. Bernhard lachte. Die Meute stimmte in sein Lachen ein. Die Inbetriebnahme war kein Problem, erklärte sich von selbst. Lächerlich.
    »Dann mal her mit dem Zeug«, sagte er. Die Frau vom Cateringservice reichte ihm das vorbereitete Backblech mit den marinierten Entenbrustfilets. Er schob es hinein, schloss die Backofentür, wählte ein Programm. Er wusste, welches.
    Die Beleuchtung blieb aus, aber die Temperaturanzeige stieg. Unaufhörlich. 170 Grad Celsius, 200, 250. Wie der Kurs eines Internet-Start-ups im Sommer 99. Bei 300 Grad fing die Meute leise an zu raunen. Bei 400 Grad lauter. Bei 470 Grad fing die Ente Feuer.
    »Schnell«, sagte, nein, kreischte Carmen. »Wasser! Wir brauchen Wasser! Wir müssen das löschen!«
    Bernhard hatte sich an den Kühlschrank gelehnt und sich ein weiteres Glas Wein geben lassen. »Ups, da muss ich die Pyrolyse erwischt haben. Das tut mir ja leid.«
    »Schnell!«, schrie Carmen. Sie machte sich sinnlos am Ofen zu schaffen, verbrannte sich an der Tür die Finger.
    »Du, die Ofentür ist verriegelt«, sagte Bernhard. »Das läuft jetzt erst mal durch.«
    »Was sollen wir denn jetzt machen?« Carmen mit knallrotem Kopf. Fassungslos
    »Stecker raus?«, riet Bernhard.
    Carmen ließ sich auf die Knie fallen und suchte irgendwas neben der Küchenzeile.
    »Was suchst du denn?«, fragte Bernhard und bückte sich halb.
    »Was soll ich schon suchen? Die Steckdose such ich!«
    »Musst du den Ofen abrücken.«
    » DER   IST   ABER   HEISS !«
    »Ich weiß. Und angeschraubt.«
    Die Ente war vom dichten Qualm, der inzwischen aus der Türritze des Ofens quoll, vollständig verschluckt.
    » KANNST   DU   VIELLEICHT   AUCH   MAL   WAS   MACHEN ?«
    »Ich könnte die Sicherung rausnehmen. Soll ich die Sicherung rausnehmen?«
    Carmen sagte nichts. Sah ihn nur entgeistert an. Er stellte das Glas ab, stieß sich ruhig vom Kühlschrank ab und ging in den Flur. Öffnete die Klappe des Sicherungskastens, schaltete den Starkstrom aus. Kehrte wieder in die Küche zurück.
    »Die würde ich jetzt nicht auf –«, wollte er sagen, doch es war zu spät. Im selben Augenblick war die gesamte Küche erfüllt von beißendem schwarzem Qualm.

13
    Sie gingen nicht weit. Die Straße hinunter bis zum Hotel am Yachthafen. Hotel Legal, stand auf einem Transparent, »se alquila«. Alles sah halb fertig aus. Graue Mauern aus Stahlbeton, die Bewehrungseisen aus der Verschalung ragend. Eine leere Schubkarre mit einem Autoreifen darin, weiter hinten ein Bagger. Als wären die Arbeiter zur Pause gegangen.
    Sie gingen weiter. Der Junge führte sie an, die beiden anderen hielten sich hinter Bernhard. An der Decke und an den Wänden der Lobby offene Kabelkanäle, Stapel von Rigipsplatten, bedeckt von weißem Staub. Der Counter war schon geliefert, aber noch nicht montiert worden, er stand dort, als hätte er sich allein aus seiner Verpackung befreit und dann nicht mehr weitergewusst.
    »We go upstairs«, sagte der Junge. Das Treppenhaus wand sich um den Aufzugsschacht in die Höhe. Nackter Beton, keine Geländer. Sie stiegen in die erste Etage. Überall fehlten Türen, er konnte durch den Flur und die Zimmer hinaus aufs Meer sehen, roch den salzigen Wind. Er hörte eine Stimme, dann rief der Junge etwas auf Französisch. Links von ihnen tauchte das Gesicht eines Kindes auf. Große, neugierige Augen, vielleicht vier Jahre alt. Er beugte sich leicht vor. Das Kind drehte sich um und lief davon.
    »Go!«, sagte einer der beiden hinter ihm. Sie stiegen in die nächste Etage. Hier hörte er weitere Stimmen. Als sie in den Flur einbogen, sah er sie. In jedem der türlosen Apartments waren Menschen. Schwarze.