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Gibraltar

Gibraltar

Titel: Gibraltar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Reh
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an. Von draußen schien der Mond durch die offenen Fenster. Vollmond. Die Gäste – die, die noch da waren – hatten sich die Jacken übergezogen, es war kalt. Die Lounge, wie Carmen das Wohnzimmer nannte, war von der Küche nur leicht separiert, eine halbe Wand schaffte eine optische Trennung.
    »Haben Sie das Buch Ihrer Frau gelesen?«, fragte jemand.
    Er antwortete nicht. Dafür redete er zwei Gläser später wie ein Wasserfall, griff Themen auf und ließ sie wieder fallen, ein Wirbel am Fuß eines Katarakts. Ließ sich mit der Strömung des Gesprächs treiben. War selbst die Strömung. Aus irgendwelchen Gründen redete er über Popmusik, die von Rick Rubin produzierten Alben Johnny Cashs. Er persönlich sei der Reduktion gegenüber durchaus aufgeschlossen. Er bevorzuge kompakte Kleidung, die in sich selbst Halt finde, wie etwa seine Soft-Shell-Freizeitjacke, die sich seiner Körperform anpasse wie Batmans Kevlar-Rüstung. Ob Batmans Kevlar-Rüstung ein Begriff sei. Er möge dicke, steife Stoffe mit subtiler, aber dennoch sichtbarer Textur, wie etwa seine Bürohemden, 179 Euro das Stück, an den Ärmeln individuell angemessen. Man könne so ein Hemd tagelang gepresst in einem Koffer aufbewahren, wenn man es einmal schüttele, sehe es wieder aus wie frisch gebügelt. Kleidung, die mitdenke. Weiterhin seine handgefertigten Budapester, die unter ihren Nähten mit atmungsaktiven Kautschuklamellen gegen Feuchtigkeit gesichert seien. Atmungsaktive Kautschuklamellen! Er liebe Ausrüstung, wie sie zum Beispiel im Segelsport verwendet werde: strapazierfähige, spezialbeschichtete Materialien, reißfeste Nylonseile,   GPS -Navigationssysteme. Natürlich die Omega Seamaster. Das Segeln, überhaupt Sport in der Natur, sei sehr ausrüstungsintensiv. Ihm gefalle dieser Aspekt weitaus mehr als die Tatsache, dass es dabei meist nur darum gehe, der Beste zu sein.
    »Aber treibt Sie nicht gerade Ihr Ehrgeiz an?«
    »Ja. Antreiben ist das richtige Wort.«
    Eine Frau mit Holzkugeln ums Handgelenk, das Kinn auf die Faust gestützt, machte große Augen. »Wie meinen Sie das?«
    »Mit der Peitsche. Wie eine klapprige Mähre, die eine Kutsche mit besoffenen Kerlen ziehen soll. Die auf das Pferd einprügeln, bis es tot umfällt.«
    Er war betrunken.
    Carmen stand an der offenen Terrassentür und rauchte, sie hörte nichts. Er rauchte seinen schwelenden Stumpen am Tisch. Er hatte Lust zu trinken. Der morgige Tag würde die Trendwende am Markt bringen. Den Absturz, den er brauchte. Seine Lippen, seine Zunge bewegten sich von alleine.
    »Es herrscht sicher ein mörderischer Leistungsdruck bei Ihnen, stimmt’s?« Die Frau war nicht mehr jung, Führungsetage, wenn man das so nennen konnte. Ein jüngerer Mann, viel weniger ambitioniert gekleidet, folgte jedem ihrer Worte. »Ja, das hat man ja jetzt gesehen, was da für Sitten herrschen«, ergänzte er.
    Bernhard hörte nicht zu. Wörter ergossen sich aus ihm: »Ich kaufe billig Handgranaten ein und ziehe die Sicherungssplinte. Dann verkaufe ich sie möglichst teuer weiter. Wer die Granaten noch hat, wenn sie explodieren, hat verloren.«
    »Haben Sie denn schon einmal darüber nachgedacht, etwas anderes zu machen?«, fragte die Frau interessiert. »Ich meine: mit einer Künstlerin als Frau –«
    »Viele schaffen es nicht«, redete er unbeirrt weiter. »Die brechen zusammen. Kriegen Depressionen, Burn-out, den ganzen Scheiß. Die sieht man nicht wieder. Was auch besser ist. Ich würde mich auch nicht mehr blicken lassen. Die zeigen mit Fingern auf dich. Guck mal, da ist der Durchgedrehte. Hält nichts aus. Halten dich für einen Drückeberger, bestenfalls. Für einen kompletten Versager. Ich würde das anders anstellen.«
    »Was denn anstellen?«, fragte eine andere Frau. Blaue Lippen vom Wein.
    Bernhard sah auf. »Das Aussteigen. Ich würde das richtig machen.«
    »Und wie?«
    »Das ist nicht die Frage. Das Aussteigen ist einfach. Die Frage ist: Wann?«
    »Warum wann?«
    »Das ist, wie wenn einer die Strahlenkrankheit hat, nach einem Atomunfall oder so. Tschernobyl. Der Typ wird immer schwächer, kriegt eitrige Pickel und Pusteln, spuckt Blut. Ekelt sich vor sich selbst.« Er konnte sehen, dass sich auch die Frauen vor der Vorstellung ekelten. Spürte Carmen hinter sich.
    »Na, worüber redet ihr denn?«
    Er sagte nichts. Drehte sich nicht um.
    »Über eitrige Pusteln«, sagte eine der Frauen.
    »Ach Gott«, sagte Carmen. »Sag, Schatz, hast du mal Feuer?«
    Er reichte ihr sein Feuerzeug

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