Gibraltar
Ausgemergelte Gesichter, zerlumpte und schmutzige Parkas um die knochigen Schultern, zerrissene Hosen. Sie sahen ihn an und erstarrten in dem, was sie taten. Manche hockten auf dem nackten Boden, redeten leise, einer von ihnen rauchte, den Blick starr auf ihn gerichtet. Etwas abseits ein offenes Feuer, über dem Spieße hingen. Fisch. Der Rauch kräuselte sich zum scheibenlosen Fenster hinaus. In einer Zimmerecke, auf dem Boden, Matratzen aus Glaswolle, überzogen mit durchsichtiger Plane, daneben einige Wasserflaschen. Ein Schweizer Taschenmesser.
»You stole my stuff.«
Er bekam keine Antwort; allerdings war es auch keine Frage gewesen. Sie bogen ab in eines der letzten Zimmer auf dem Gang. Auf Bernhards Luftmatratze lag ein junger Mann, fast nackt, einen blutverklebten Stofffetzen um den Oberschenkel gewickelt. Er schlief. Beim Anblick seines Gesichts musste Bernhard an die Bilder von Hungerkatastrophen denken, die man im Fernsehen schon lange nicht mehr sah. Nur die Fliegen fehlten.
»It’s my brother«, sagte der Junge in dem grünen T-Shirt. »His name is Tafa.« Er sah ihn an. Das Weiß der Augäpfel stach hart gegen die dunkle Hautfarbe ab. Er versuchte ein Lächeln und gab ihm die Hand. »I’m Jemal.«
Geschäftsmännisch, ganz automatisch erwiderte er den Handschlag. »Bernhard. Pleased to meet you.«
»These are Dem and Ousmane. We come from Senegal. We two.« Er deutete auf den stämmigen Kerl mit der Narbe, der Bernhard noch immer feindselig ansah.
»That means, not all of you?«
»No. But we all came by boat. From Africa.«
Bernhard sah sich um. Es sah aus, als seien sie schon länger hier. Mülltüten, Fackeln, ein angedeutetes System von Zuständigkeiten. Ein paar Stoffbahnen, unverbaute Dachlatten. Plastikeimer und Kanister aus den Werkzeugcontainern der Baufirmen. Sie fingen Fisch vom Steg des Yachthafens, sobald es dunkel wurde. Jemal erzählte, es dauere lange, aber sie fingen welchen. Das Wasser hatten sie aus den Zierbrunnen der Patios. Sie hatten keine Verbindung zum Grundwasser, aber Zisternen, aus denen sich der Wasserkreislauf speiste. Woher sie die Tomaten und den Reis hatten, wollten sie ihm nicht sagen. Es gab nicht viele Erklärungen, Geld hatten sie nicht.
Durch die Fenster hatte man die Bucht halbwegs im Blick. Sie hielten Wache. Jemal sagte, sie rechneten jederzeit mit der Küstenwache, bisher hätten sie keine gesehen. Etwas daran beunruhigte sie. Sie hatten Gerüchte gehört, vor und während ihrer Überfahrt. Frontex würde Boote auf offenem Meer zurückschicken, auch wenn ihr Sprit zu Ende ging. Sie versenken.
»What are you waiting for? Here?«, fragte Bernhard.
Die drei sahen sich an, zögernd. Niemand antwortete.
»Are you waiting?«
Nach einer Weile sagte Jemal: »We are here since two weeks. The captain left us here. Our captain.«
»What’s that supposed to mean?«
Einer der beiden anderen redete ungeduldig auf Jemal ein. Der schüttelte den Kopf. »The men who bring us here. From El Jebha.«
»Where is this? Morocco?«
Jemal nickte. »Some of us are on their way for months and months. Mustafa told us he’s got work for us. Here in Spain. He just went to bring the documents.«
»And this was two weeks ago?«
Jemals Nicken war mehr als eine Bestätigung. Ein Eingeständnis.
»I see«, sagte Bernhard.
»So …«, fing Jemal an. Er wirkte wie ein zu früh erwachsen gewordenes Kind. Die Bewegungen unsicher, fast linkisch. Sein Blick wie ein Schraubstock. »You have a mobile phone.«
»I do. So what?« Bernhard erwartete, dass sie es sich einfach nehmen würden. Dass es das war, worauf sie es von Anfang an abgesehen hatten. Stattdessen sagte der Junge: »I must call somebody. It’s very important.« Er streckte die Hand aus. »Please.«
14
Während der Qualm abgezogen war und die Gäste zum Rauchen auf die Terrasse gegangen waren, hatte er die aktuelle Kursentwicklung und sein Feed mit den wichtigsten Schlagzeilen gecheckt. Dominique Strauss-Kahn sagte, der IWF stehe bereit. Juncker kündigte für den Gipfel in Madrid ein koordiniertes Vorgehen an. Der Kurs für griechische Anleihen war abermals leicht gestiegen, auch der Euro notierte stärker, ein weiteres Zeichen für mehr Zuversicht an den Märkten.
Der Qualm zog bis ins Arbeitszimmer, Bernhard schloss die Tür.
Zuversicht, sagte er sich. Wiederholte das Wort. Zerlegte es in Silben.
Er nahm eine Romeo y Julieta aus dem Humidor auf seinem Schreibtisch, beschnitt das Ende und steckte sie
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