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Gibraltar

Gibraltar

Titel: Gibraltar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Reh
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Wand. Für eine Weile lenkte ihn das ab. Einmal fragte er sich, wie er den Moment erkennen sollte, an dem er keinen Plan für den nächsten Tag mehr haben würde. Er trank Schnaps, schluckte zwei Valium, legte sich auf die Matratze und knotete sich sein Hemd um den Kopf gegen die Lichtsalven, die durch die Zwischenräume der Jalousien schossen.
    Ein Geräusch weckte ihn. Er riss sich das Hemd vom Kopf. Vor ihm standen drei schwarze Männer, einer hielt eine Brechstange in der Hand. Er konnte nur denken: Jetzt haben sie mich. Sie haben mich gefunden.
    Er war zu durcheinander, um zu verstehen, was sie wollten. Er blickte zur offenen Tür. Plötzlich fiel ihm ein, dass er sie nicht verriegelt hatte. Die matte Verzweiflung einer verpassten Chance. Einer der Schwarzen, grünes T-Shirt mit gelbem Schriftzug, »Just let go«, darunter ein umgedrehtes Nike-Logo, folgte seinem Blick und postierte sich und die beiden Begleiter so, dass sie ihm den Weg abschnitten. Bernhard spürte den Impuls zu fliehen. Er lief durch seinen Körper und verlor sich irgendwo, noch bevor er die Beine erreichte.
    »Was wollt ihr von mir?«, fragte Bernhard. Es klang lächerlich. In Wirklichkeit, dachte er, bin ich gar nicht hier. Gleichzeitig wusste er, dass es keine weitere Wirklichkeit gab, und fühlte Resignation über die Fadheit dieser einen.
    Statt zu antworten, fragte der Mann mit dem grünen T-Shirt: »Who are you?« Er war vielleicht zwanzig, vielleicht nicht einmal das. Er trug keine Schuhe. Sein Gesicht wirkte verschlossen wie die seiner Begleiter. Einer von ihnen war größer, ein wenig untersetzt, mit einem Kapuzenpullover in unaussprechlichen Farben. Der andere, der die Brechstange hielt, war älter und muskulös. Er trug einen Schnurrbart und hatte eine Narbe auf der Wange, rosafarben und obszön geschwollen, die sich zum Hals hinunter verästelte.
    »Ich bin«, setzte er an, »I’m from Germany.«
    »Are you Frontex?«, fragte der Junge.
    »What?«
    Die drei schwarzen Männer unterhielten sich auf Französisch miteinander. Sie schienen ratlos zu sein. Wenn sie ihn überfallen und ausrauben wollten, hätten sie das getan, als er noch schlief. Sie hätten ihn ungestört totschlagen können. Sie mussten etwas anderes wollen. »What do you want?«, fragte er, forscher.
    Der mit der Brechstange schrie etwas und trat drohend einen Schritt auf ihn zu. Der Junge hielt ihn zurück. Bernhard schaffte es nicht, auf die Beine zu kommen, und kroch stattdessen im Spinnengang zurück, bis er die Wand in seinem Rücken spürte.
    »What do you want?«, jetzt schrie er ebenfalls. Der Junge trat langsam, fast beschwichtigend auf ihn zu.
    »We hide«, sagte er.
    »From whom?«
    Die Schwarzen sahen sich an. »Frontex. Border patrol.«
    Die Mitteilung machte Bernhards Furcht fassbarer, sein Körper entspannte sich ein wenig. »You’re boat-people?«
    Sie sahen ihn schweigend an, noch immer zweifelnd, ob sie ihm trauen konnten. »We need help«, sagte der Junge. »You come with us.«
    »No. I won’t.«
    »Why not?«
    »I’m in need for help, too.«
    Der Junge, bis dahin eher ruhig, wurde nervös. Er gestikulierte, als er sagte: »You must come. Our friend need help. He is hurt. He is gonna die.«

12
    »Bernhard, da bist du ja endlich!« Sie hatte mit zwei Frauen neben dem Cooktop gestanden. Die beiden gaben sich Mühe, nicht allzu beeindruckt auszusehen. An der Art, wie sie ihn begrüßten – den Kopf leicht neigend, die Stimme ehrfurchtsvoll gedämpft –, erkannte er, dass sie es waren. »Wir müssen dringend ein paar Sachen in den Ofen stellen.«
    »So eine Ironie, nicht?«, sagte eine der Frauen. »Da hat man schon so eine tolle Küche, und dann kann man sie nicht benutzen.«
    »Warum kann man sie nicht benutzen?«, fragte Bernhard Carmen, ohne den Blick oder die Stimme zu heben.
    »Na weil«, begann Carmen, ihr Gesicht erstarrte, dann fing sie sich und stellte ihr Lächeln glatt. Bernhard lockerte die Krawatte, zog sie über den Kopf, knöpfte den Hemdkragen auf. Angelte ein Glas Roten von einem vorüberschwebenden Silbertablett. Lächelte die beiden Frauen an.
    »Wir hatten uns doch darauf geeinigt, Bernhard, dass du die Gebrauchsanweisung studierst –«
    Bernhard, einen großen Schluck Wein im Mund, verschluckte sich beinahe. »Was soll ich?« Er bemühte sich, amüsiert zu klingen. Die beiden Verlagsfrauen steckten die Köpfe zusammen und tuschelten ostentativ hörbar: »Der Arme, muss den ganzen Tag arbeiten, und jetzt soll er auch

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