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Gibraltar

Gibraltar

Titel: Gibraltar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Reh
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anlasten. Er hat die Bank aus der Apokalypse herausgeführt, das darf man nicht vergessen. Loeb hatte Selbstmord begangen, Seliger saß in London und wollte nicht mehr nach Deutschland zurück. Es gab Angebote genug, die Bank wieder zu überführen, mein Vater kam nach dem Krieg mehrmals auf den Vertrag zurück. Seliger selbst war es, der völlig zu Recht darauf hinwies, dass unter dem alten Namen der Bank keinerlei Geschäftsbeziehungen mehr existierten. Alle Kunden, die nach 1937 zur Bank gekommen waren, hatten Beziehungen zu meinem Vater geknüpft, und man darf nicht vergessen, dass er es auch vorher schon gewesen war, der die ausländischen Kontakte hergestellt und gepflegt hatte. Die Rückgabe wäre für die Bank der Ruin gewesen. Seliger hätte seine Viertelminorität schrittweise aufstocken können, auch das wollte er nicht. Vermutlich dachte er nach dem Krieg, wie alle anderen auch, dass die Bank ohnehin nicht mehr zu retten war. Niemand kann sich heute noch vorstellen, wie das damals aussah, es war ja buchstäblich alles kaputt, alles. Das Gebäude am Gendarmenmarkt war ausgebrannt. Bis auf die Grundmauern ausgebrannt. Die Geschäftsbücher, die Konten, die Kundendaten, alles war weg. In den ersten Jahren nach dem Krieg verwaltete mein Vater die restlichen Kunden von einem Pferdestall in Rixdorf aus. Du musst dir das vorstellen, da gab es am Anfang nicht mal Strom. Die hatten einen Stift und ein Stück Papier, und zum Telefonieren gingen sie … Ach was, Telefon gab’s auch nicht. Und aus diesem Chaos hat mein Vater, nachdem er aus der Gefangenschaft zurück war, innerhalb von ein paar Jahren wieder ein florierendes Unternehmen mit 85 Mitarbeitern gemacht. Und dafür muss er sich nicht entschuldigen, und ich muss mich dafür auch nicht entschuldigen. Denn die Leute, die in den achtziger Jahren den Restitutionsprozess anstrengten, bei dem du dann in die Geschichte eingestiegen bist, die hatten mit der Familie Seliger oder mit den Loebs nicht mehr das Geringste zu tun. Wenn du Gewinnler und Parasiten suchst, dann wirst du bei solchen Leuten fündig, und zum Glück hat das Gericht das genauso gesehen. Diese Leute waren verkrachte Existenzen, die nur hinter dem schnellen Geld her waren. Es dreht sich mir jetzt noch der Magen um, wenn ich an die denke. Wir haben ja den Prozess dann auch gewonnen. Ende der Geschichte.
    Ich glaube, dass die Leute, mit denen du damals verkehrt hast, einen schlechten Einfluss auf dich hatten. Und ich spreche auch von Carolin. Ich hatte keine schlechte Meinung von ihr, aber ich habe im Gegensatz zu dir gesehen, dass sie eigentlich etwas ganz anderes wollte. Sie war fünf Jahre älter als du. Sie mag eine gescheite Frau gewesen sein und dir etwas beigebracht haben, das du ohne sie vielleicht nicht entdeckt hättest, das mag sein. Aber diese ganzen Leute, Thomas, diese ganzen Adorno-Nachbeter und Hegel-Versteher, waren nichts als beschränkte und verlogene Naturen. Voller Vorurteile und unfähig, sich konstruktiv in die Gesellschaft einzubringen. Leute, die nur links abbiegen und sich wundern, dass nichts nach vorne geht. Leute, die es für eine bedeutende humanistische Leistung halten, gegen den Fortschritt zu sein. Die die Vergangenheit pauschal zu einem Verbrechen erklären und sich dann dafür auf die Schulter klopfen, in der Gegenwart zu leben. Einen will ich sehen von denen, die über zu hohe Gehälter und Boni lamentieren, wie er diese Arbeit macht: sieben Tage in der Woche, ständig ansprechbar für seine Kunden, immer bereit, auf eine Veränderung zu reagieren, nie um eine kompetente Antwort verlegen, selbst wenn man ihn um drei Uhr aus dem Bett klingelt. Natürlich sind diese Leute ehrgeizig. Gut für sie, gut für unsere Kunden, gut für unser Land. Gut für die Welt, sie nicht den Weltverbesserern zu überlassen mit ihren flachen Turnschuhen und Hierarchien. Die Weltverbesserer haben keinen Schimmer von Führung und Organisation, sie glauben, man muss nur herrschaftsfrei diskutieren, dann erledigen sich die Probleme von selbst. Aber wenn sich die Probleme doch nicht von selbst erledigen und sie dann endgültig die Kontrolle verlieren, dann schlagen sie um sich wie die Kinder. Leute, die sich damit brüsten, dass sie nicht leben, um zu arbeiten, sondern arbeiten, um zu leben. Bravo. Prima. Nichts dagegen, dass die lieber Rucksackurlaub in Thailand machen, um sich mal so richtig selbst zu entdecken. Nur sollen sie nicht auf denen rumhacken, die hierbleiben und sich um ihre

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