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Gibraltar

Gibraltar

Titel: Gibraltar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Reh
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König das alleine nicht schaffen kann, muss er einen Teil seiner Macht abgeben können. Gerade so viel, dass er hinterher noch zuverlässig sagen kann, wer der König ist und wer nicht. Wer bestimmt in einem Unternehmen, wer der König ist, Feldberg? Der König? Die Frau des Königs? Der Thronfolger?
    Um ehrlich zu sein: Ich habe lange Zeit nicht gewusst, ob ich der richtige Mensch für den Job bin. Es kostet schon Kraft, überhaupt der zu bleiben, der man ist; wie soll man da noch zu jemandem werden, der man nicht ist? Die eigene beschränkte Natur überwinden, Thomas: Es gibt keine größere Aufgabe im Leben, als die Leidenschaften zu besiegen. Dieses kindische, törichte Wollen. Pflichterfüllung ist ein Akt der Befreiung von dieser Tortur. Ich sah es als Privileg an, plötzlich eine gewaltige Aufgabe zu haben, der ich mich als würdig zu erweisen hatte: eine Bank zu führen. Mit 36 Jahren! Plötzlich war ich der Kopf einer Dynastie. Und ich war stolz darauf.
    Wärst du so stolz gewesen, Thomas?
    Sie haben meinen Sohn ja damals erlebt, Feldberg. Machte er nicht auch einen etwas überspannten Eindruck auf Sie? Jungen in dem Alter neigen ja zu extremen Trotzreaktionen. Ich habe seine Ausfälle gegen mich übrigens immer in diesem Zusammenhang gesehen. Warum hattest du dir nur in den Kopf gesetzt, dass mein Großvater ein Arisierungsgewinnler sein musste? Hast in der Schule die Wörter »Bank« und »Arisierung« im selben Satz gelesen, und von da an war für dich klar, dass Besitz und Reichtum unserer Familie auf einem gemeinen Diebstahl gründen müssen. Warst um keinen Preis davon zu überzeugen, dass die Familie Alberts sich zeit ihres Lebens niemals angemaßt hat, anderen die Früchte ihrer Arbeit streitig zu machen. Mein Großvater hat als Schuhmacher angefangen, ich erwähnte das bereits, mehrfach sogar, glaube ich. Das Furchtbare an der Jugend ist ihr Dünkel, Thomas, nichts für ungut. Ein Feind, gegen den man nichts ausrichten kann. Man kann ihn nicht sehen, nicht hören, nicht riechen. Es ist ja auch nicht so, dass du mit mir darüber gesprochen, geschweige denn gestritten hättest. Hast jahrelang nicht darüber gesprochen, dass du deinen Großvater – und damit auch mich – für einen Dieb und einen Nazi-Gewährsmann hieltest. Als wäre dieser Vorwurf dein kostbarster Schatz. Der Dünkel ist ein stiller, geduldiger Feind, er wartet hartnäckig auf die Chance zum Hinterhalt. Nie hast du etwas zu mir gesagt, höchstens eine Andeutung. Ich habe diese Manie, in Andeutungen zu sprechen, immer verabscheut. Das ist die Taktik der Charakterlosen und Schwachen. Derer, die nicht einstehen wollen für sich und was sie tun.
    Nein, ich verurteile dich nicht, Thomas. Dazu warst du zu jung und dumm damals. Du hast bloß ein Feindbild gebraucht, weil du unter dem Einfluss der falschen Leute standest. Ich weiß das jetzt. Ich wusste es damals schon.
    Es ist erst der Verrat, der uns zu Menschen macht, glaub mir. Verrat am Gesetz, Verrat am Glauben, Verrat an Gütern und am Guten. Ganz wichtig: Verrat an den Eltern, Thomas. Ohne Verrat gibt es kein Vertrauen. Nur durch den drohenden Verrat kann so etwas wie Vertrauen – ein unsichtbares Nichts, eine Schimäre, ein Spuk – so machtvoll und so bindend werden, dass sich eine Gesellschaft von Millionen darauf verlässt. Dies allein hätte schon eine Religion verdient, und sie bräuchte nicht einmal einen Gott. Nichts für ungut.
    Natürlich hat es mich damals betrübt, dass mein Sohn mehr daran interessiert war, eine vermeintliche Erbschuld aufzudecken, statt ein Geschäftsmann zu werden. Du hattest ja die Einstellung, das Geschäftswesen sei an sich schon mafiös, Thomas. Ich habe mich immer gefragt, wie man auf den Gedanken kommen kann, es sei moralisch verwerflich, selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Wie man auf den Gedanken kommt, dass Wettbewerb etwas Schädliches sei, wo doch schon jeder Junge in der Schule darauf stolz ist, schneller laufen zu können als sein Freund, mehr Tore zu schießen, höher zu springen und so weiter. Abstrus die Annahme, hinter jedem Wettbewerb stehe der Wunsch nach Vernichtung des Gegners, also das Gegenteil von Anteilnahme und Nächstenliebe, also das Böse. Aber schon dadurch zeigt sich doch die Abhängigkeit vom Gegner, dass es ihn geben muss, damit ich ihn übertreffen kann.
    Was mich geärgert hat, war diese Manie, Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre noch mal mit diesen ganzen alten Vorwürfen anzufangen, als

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