Gib's mir, Schatz!: (K)ein Fessel-Roman (German Edition)
Kolleginnen?
Das Telefonklingeln riss sie aus ihren trüben Gedanken. Und schon wurde sie in die Mühle der Routine gezogen – Termine vereinbaren, Patienten empfangen, Daten aufnehmen. Aber Anne war nicht ganz bei der Sache. Mal verwechselte sie ein Datum, dann wieder schrieb sie einen Namen falsch.
Von wegen Routine. Sie konnte sich kaum richtig konzentrieren. Immer wieder überlegte sie, wie sich Joachim wohl gab, wenn sie nicht dabei war. In ihrer Gegenwart verhielt er sich korrekt, schaute auch nie anderen Frauen hinterher, wie es manche Männer taten. Täuschte sie sich in ihm? Was war mit dieser Charlotte Stark, seiner Kollegin? War er zu ihr auch »süß« und »flirtig«?
Sobald die Mittagspause anbrach, floh sie förmlich aus der Praxis. Nur weg, nur nicht Leila und Birte begegnen. In einer Bäckerei holte sie sich ein Käsebrötchen, obwohl sie überhaupt keinen Hunger hatte. Dann schlenderte sie in einen nahen Park. Auf einer Bank ließ sie sich nieder und biss in dasBrötchen. Es war ein reiner Vernunftakt. Sie hatte beim Frühstück kaum was runterbekommen und nochmal wollte sie nicht umkippen.
Gerade, als sie widerwillig den letzten Bissen des Käsebrötchens verdrückt hatte, klingelte ihr Handy. Tess klang munter, richtig aufgekratzt.
»Hey, sturmfreies Wochenende! Ist ja super! Worauf hast du Lust? Sollen wir zusammen trainieren? Warst du überhaupt schon mal im ›Fit for you‹ diese Woche?«
»Nein, war ich nicht.« Anne wischte ein paar Brötchenkrümel von ihrer Jeans. »Ich könnte Marc begegnen. Und das wäre mir sehr unangenehm, so, wie der aufdreht. Kannst du mal mit ihm reden? Diese dauernden SMS von ihm machen mich noch wahnsinnig.«
»Dem werde ich die Meinung geigen!«, schnaubte Tess. »Wär ja wohl noch schöner, wenn du dich nicht ins Studio traust! Was ist mit heute Abend? Wollen wir zusammen was kochen? Bernd ist nicht da, wir könnten in Ruhe reden.«
Ja, reden war gut. Es gab so vieles zu besprechen.
»Ich bin um acht da«, sagte Anne. »Soll ich was mitbringen?«
»Einen leichten Weißwein, gute Laune und jede Menge Spaß«, antwortete Tess. »Bis dann, Schnecke.«
Nachdenklich betrachtete Anne ihr Handy. Sollte sie, oder sollte sie nicht? Schon den ganzen Morgen über wisperte eine kleine, fiese Stimme in ihrem Ohr: Ruf in der Kanzlei an! Horch mal den Huber aus, was das für ein Seminar ist, für das Joachim sein Wochenende mit der Familie opfert. Und sogar die Kaffeetafel bei Mutti .
Doch sie verwarf den Gedanken wieder. Seit HermannHuber sie in Strapsen erlebt hatte, verspürte sie wenig Lust auf ein Gespräch mit ihm. Wusste die Sekretärin vielleicht Genaueres? Kam auf einen Versuch an.
Anne rief Joachim nie bei der Arbeit an, das hatte er ihr quasi verboten. Er wollte halt nicht gestört werden. Nur SMS auf sein Handy waren erlaubt, so lautete seine Regel. Ihre Finger bebten, als sie die Nummer der Auskunft wählte und sich mit der Kanzlei verbinden ließ. Zwei Freizeichen später meldete sich Frau Vollmer, die Sekretärin. Anne hatte sie einmal flüchtig bei einer Weihnachtsfeier kennengelernt.
»Ja, bitte?«
»Hier ist Anne Westheimer.«
»Oh, Frau Westheimer! Schade, Ihr Mann ist gerade raus. Sie müssen sich keine Sorgen machen, er wird pünktlich am Flughafen sein. Finde ich ja großartig, dass er mit Ihnen und Ihrem Sohn für ein Wochenende nach Sardinien fliegt. Wir alle haben Verständnis dafür, dass er telefonisch nicht erreichbar sein wird. Sie wissen ja, Herr Dr. Huber liebt es, knifflige Fälle auch mal am Wochenende durchzugehen. Leider sind wir zurzeit dünn besetzt. Einige Kollegen sind im Urlaub. Aber so viel, wie Ihr Mann arbeitet, hat er sich eine Auszeit verdient.«
Sardinien. Innerhalb einer Sekunde stürzte Annes Welt zusammen.
»Frau Westheimer?«, quakte es aus dem Handy. »Sind Sie noch dran? Frau Westheimer?«
Kapitel fünf
»Willkommen in der Versuchsküche!«, rief Tess. »Du bist die Erste, die mein sensationelles neues Chicken Curry probieren darf!«
Sie trug ein rosageblümtes T-Shirt-Kleid und darüber eine rotweiß karierte Schürze, auf der quer der Schriftzug »Hier kocht der Chef« gedruckt war. Anne folgte ihr durch den langgestreckten Flur voller bunter, abstrakter Gemälde in die offene Küche, an die sich ein Essbereich und ein großzügiges Wohnzimmer anschlossen.
Als erfolgreiche Investmentbankerin konnte sich Tess ein schickes Loft leisten. Das Ganze wirkte luxuriös, ohne mit Schnickschnack aufzutrumpfen:
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