Gib's mir, Schatz!: (K)ein Fessel-Roman (German Edition)
betrachtete Anne die Gummikugel, während ihr der Schweiß ausbrach. Wie war Lars daran gekommen? Ihr fiel ein, dass sie den Knebel zum Trocknen auf den Nachttisch gelegt hatte. Oder hatte Lars etwa die Schublade ihres Nachtschranks durchwühlt? Und noch mehr zum »Spielen« gefunden? Die Handschellen zum Beispiel? Anne war einer Ohnmacht nahe.
Plötzlich kam ihr die rettende Idee. »Das ist ein Flummi.«
Einer Eingebung folgend, nahm sie der Erzieherin die Kugel aus der Hand und warf sie auf den asphaltierten Parkplatz. Da blieb sie liegen. Sie hätte wieder hochspringen müssen, das wusste Anne so gut wie Frau Landmann.
»Sie werden sich vielleicht wundern, woher ich solche Sachen weiß«, sagte die Leiterin der »Villa Sonnenschein«, »aber ich habe im Internet recherchiert. Dies ist ein Knebel, wie er bei Fesselungspraktiken üblich ist. Nicht, dass mich Ihre erotischenVorlieben etwas angehen – auch wenn ich gestehen muss, dass ich so was abscheulich finde. Aber in Kinderhand gehören solche Dinge nicht. Sie sind mir eine Erklärung schuldig!«
Zack, bumm, bämm! Sie hatte die Worte wie Salven auf Anne abgeschossen. Jetzt ging es um alles. Um Annes Ruf, um ihre Ehre, um ihre Berechtigung, Lars in diesen Kindergarten gehen zu lassen. Es war nicht leicht gewesen, einen Platz in der »Villa Sonnenschein« zu ergattern. Die Warteliste war kilometerlang. Nicht zuletzt hatte Annes Mutter mit ihrem alternativen Lebensstil Frau Landmann überzeugt. Joachim dagegen hatte bei der Bewerbung einen weniger guten Eindruck hinterlassen. Er wollte, dass Kinder Ordnung, Disziplin und Pünktlichkeit lernten. Und quasi das Abitur machten, bevor sie in die Schule kamen. Das war überhaupt nicht gut angekommen.
All das schwirrte durch Annes Kopf, während sie fieberhaft nach einer Antwort suchte. Wenigstens eins hatte sie von Joachim gelernt: In Gefahr und höchster Not bringt der Mittelweg den Tod. Und: Angriff ist die beste Verteidigung. Na, dann mal viel Vergnügen.
Anne plusterte sich auf. »Frau Landmann, ich bin entsetzt. Völlig entsetzt! Von Ihnen! Diese Gummikugel habe ich zusammen mit anderem Spielzeug auf dem Flohmarkt gekauft. Das ist nur ein ganz normaler, völlig harmloser Ball! Was für eine schmutzige Phantasie muss man haben, um etwas anderes darin zu sehen!«
Frau Landmann wurde blass um die Nasenspitze. Sie biss sich auf die Lippen und strich sich nervös eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Doch Anne war noch nicht fertig. »Auch Ihr Liebesleben geht mich nichts an. Aber ich wage mir gar nicht vorzustellen, womit Sie Ihre Freizeit verbringen. Offenbar mit Internet-Pornos! Und jemand wie Sie will unsere Kinder erziehen?«
Frau Landmann war am Ende. Hilflos stand sie da, mit zuckenden Mundwinkeln. Auf der Stelle weckte sie Annes Mitleid. Eigentlich war die Erzieherin ganz in Ordnung. Sogar schwer in Ordnung. Aber warum musste sie auch immer den Polizisten spielen!
»Ich habe nicht die Absicht, diesen Vorfall an die große Glocke zu hängen«, erklärte Anne großmütig. »Tun Sie in Ihrer Freizeit, worauf Sie Lust haben. Nur lassen Sie Ihre zweifelhaften Phantasien bitte zu Hause. Und verschonen Sie mich mit weiteren Verdächtigungen!«
Damit gab sich die Erzieherin endgültig geschlagen. »Entschuldigung«, flüsterte sie. »Was für ein schreckliches Missverständnis.«
»Kann ja mal vorkommen«, sagte Anne freundlich. »Sie nehmen Ihre Aufgabe eben sehr ernst, und dafür bin ich Ihnen ehrlich dankbar. Es kann keine bessere Erzieherin geben als Sie.«
Auf einmal ging die Sonne im verfinsterten Gesicht von Frau Landmann auf. »Wirklich?«
»Aber ja, natürlich.« Anne legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Und jetzt laufen Sie zu den Kindern. Sie warten bestimmt schon sehnsüchtig auf Sie. Jeder mag Sie, jeder schätzt Sie, Kinder wie Eltern.« Das stimmte sogar. »Wir vergessen einfach dieses kleine Gespräch, abgemacht?«
»Abgemacht«, antwortete Frau Landmann mit einem Seufzerder Erleichterung. »Und – danke. Das ist sehr nett von Ihnen.«
Aus dem Auto hörte man die Fanfare einer SMS.
»Tja, dann einen schönen Tag, die Pflicht ruft. Meine Mutter holt Lars nachher ab, nur, dass Sie Bescheid wissen.«
»Oh, Ihre Mutter!« In den Zügen der Erzieherin malten sich Respekt und Begeisterung. »Sie ist eine bemerkenswerte Frau! Mein großes Vorbild!«
Ohne Frage hatte Frau Landmann keinen blassen Schimmer, dass Oma Brownie Cannabis anbaute und eine Expertin für Tantra-Sex war.
***
Es waren
Weitere Kostenlose Bücher