de la Cruz, Melissa - The Immortals 1
1
D ie Bank war ein baufälliges Gebäude aus Stein am äußersten Ende der Houston Street. Es war die ehemalige Hauptniederlassung des vermögenden Van-Alen-Bank-und-Makler-Hauses. Dieser imposante Kasten galt mit seiner klassischen Sechssäulenfassade als Musterbeispiel der Beaux-Arts-Architektur des neunzehnten Jahrhunderts und hatte eine einschüchternde Reihe von rasiermesserscharfen Zacken auf dem Gesims, die wie Reißzähne aussahen. Jahrelang hatte das Gebäude leer gestanden, bis eines Abends der einäugige Betreiber eines Nachtclubs darauf gestoßen war, der gerade in der Gegend einen Hotdog verdrückt hatte. Er war zu der Zeit auf der Suche nach einer passenden Location für einen DJ gewesen, der düstere Trancemusik spielte. Der alte Bau hatte sich schnell als gute Wahl erwiesen und zog seit Jahren viele Gäste an.
Die elektronischen Beats drangen bis auf den Bürgersteig, wo die fünfzehnjährige Skyler van Alen mit ihrem besten Freund Oliver Hazard-Perry auf den Einlass wartete. Ihre strahlend blauen Augen hatte sie mit dunklem Eyeliner umrandet. Nervös kratzte sie an ihrem schwarzen Nagellack, während sie anstanden.
»Meinst du wirklich, dass sie uns reinlassen?«, fragte sie Oliver.
»Keine Angst«, erwiderte er. »Dylan meint, das wäre ein Kinderspiel. Außerdem können wir immer noch auf die Gedenktafel dort drüben hinweisen. Schließlich hat deine Familie das Haus hier gebaut, oder?« Er grinste.
»Na toll!« Skyler lächelte abfällig und verdrehte die Augen.
Die Geschichte Manhattans war mit der ihrer Familie verknüpft, und soweit Skyler wusste, hatten die van Alens auch beim Frick-Museum, dem Van-Wyck Expressway, dem Hayden-Planetarium und noch ein bis zwei weiteren bedeutenden Institutionen oder Durchgangsstraßen ihre Hände mit im Spiel gehabt. Nicht, dass ihr dies irgendwas bringen würde. Sie konnte kaum die fünfundzwanzig Dollar Eintritt bezahlen.
Oliver legte ihr liebevoll den Arm um die Schulter. »Keine Sorge. Du machst dir immer viel zu viele Gedanken. Heute haben wir einfach nur Spaß, ich versprech’s dir!«
»Wenn Dylan doch nur auf uns gewartet hätte«, sagte Skyler verärgert.
Sie fröstelte in ihrem langen schwarzen Pullover mit den abgewetzten Ellbogen. Sie hatte dieses muffige und nach Rosenwasser riechende Oberteil vor einer Woche in einem Secondhandladen in Manhattan gefunden. Skyler lief immer in viel zu großen Klamotten herum. Der Pullover hing ihr bis in die Kniekehlen, darunter trug sie ein einfaches schwarzes T-Shirt. Ihr langer Rock schleifte bei jedem Schritt über den Boden und der Saum war schon völlig verdreckt. Dazu hatte sie ihre schwarz-weißen Lieblingsturnschuhe angezogen, die mit dem zugeklebten Loch am rechten großen Zeh. Ihr dunkles, lockiges Haar hatte sie mit einem dünnen Schal, den sie im Schrank ihrer Großmutter gefunden hatte, zurückgebunden.
Skyler war auffallend attraktiv. Viele Mädchen beneideten sie um ihr hübsches, leicht herzförmiges Gesicht mit der perfekten Nase und hellen Haut – aber ihre Schönheit hatte auch etwas Unwirkliches. Sie sah aus wie eine Schaufensterpuppe in Hexentracht. Die Schüler auf der Duchesne Highschool meinten, sie kleide sich wie eine Obdachlose. Die meisten hielten sie für eingebildet, dabei war sie nur furchtbar schüchtern und ein stiller Typ.
Oliver war groß und schlank. Sein Gesicht erinnerte an Elfendarstellungen und war umrahmt von strubbeligem kastanienbraunem Haar. Er hatte markante Wangenknochen und freundliche braune Augen. An diesem Abend trug er einen Militärmantel, ein Hemd und enge Jeans. Natürlich alles Markenware. Oliver kehrte gern den coolen Kerl heraus, dem die Meinung seiner Mitschüler gleichgültig war, doch er liebte es auch, in SoHo shoppen zu gehen.
Skyler und Oliver waren seit der zweiten Klasse eng befreundet. Damals hatte das Kindermädchen einmal vergessen, Skylers Frühstück einzupacken, und Oliver hatte sein Sandwich mit ihr geteilt. Sie waren auf der gleichen Wellenlänge und sahen sich so oft wie möglich. Beide gingen auf die elitäre Duchesne Highschool und stammten von den Passagieren der Mayflower ab. In Skylers Stammbaum fanden sich allein sechs US-Präsidenten. Doch trotz ihrer prominenten Vorfahren passten beide nicht auf die Duchesne. Oliver ging lieber in Museen als Fußball zu spielen und Skyler suchte nicht wöchentlich einen teuren Friseursalon auf, um sich mal wieder die Spitzen schneiden zu lassen. Zudem trug sie fast immer gebrauchte
Weitere Kostenlose Bücher