Gib's mir, Schatz!: (K)ein Fessel-Roman (German Edition)
Nietenhalsband zugelegt. Dir habe ich auch eins mitgebracht.«
»Ich bin doch kein Schäferhund«, sagte Anne. »Willst du mich an der Leine rumführen?«
»Abwarten. Heute Abend sehen wir vermutlich noch ganz andere Sachen. Also? Generalprobe in Kostüm und Maske?«
»Kein Problem.« Anne schaute in die Tüte. »Ist ja abgefahren.« Sie holte zwei schwarze Lederhalsbänder heraus und hielt sich eines an die Kehle. »Wuff! Wuff, wuff, wuff!«
Tess verkniff sich das Lachen. Sie setzte ihr strengstes Gouvernantengesicht auf. »Bitte den nötigen Ernst nicht vergessen!«
Eine Viertelstunde später standen sie kichernd vor dem Badezimmerspiegel und schminkten sich gegenseitig. Tess trug ihre schwarze Lederkorsage und halterlose Strümpfe, Anne hatte ihre rote Spitzenkorsage angezogen. Die Lederhalsbänder passten ausgezeichnet dazu. Jetzt umrandeten sie ihre Augen dick mit Kajal.
»Ich habe übrigens noch was angestellt diese Woche«, bekannte Tess übermütig. »Meine Blitzaffäre hatte einen Anlass – ich war bei einem Speeddating.«
»Stillhalten!«, befahl Anne, die gerade versuchte, mit dem Kajalstift eine möglichst gerade Linie auf dem rechten Oberlid von Tess zu ziehen. »Und wieso machst du so was? Ist das nicht so eine komische Veranstaltung, wo man immer nur drei Minuten Zeit hat, jemanden kennen zu lernen?«
»Ich hatte kürzere Beziehungen«, gluckste Tess.
»Jetzt gib mal nicht so an! Außerdem habe ich dich zu Bernd verdonnert, bis in alle Ewigkeit!«
Sie brachen in Lachen aus, und Anne musste noch mal von vorn anfangen mit dem Kajalstift. Alles war verschmiert. Gerade zog sie ein Papiertuch aus der Kleenexbox, als sie ein metallisches Geräusch hörte. Alarmiert hielt sie inne.
»Hörst du das?«, flüsterte sie.
Tess lauschte angestrengt. »Was denn?«
»Da dreht sich ein Schlüssel im Wohnungstürschloss!«
Die beiden sahen sich an, mit schreckgeweiteten Augen.
»Um Himmels willen!«, japste Anne. »Joachim! Wieso kommt der denn schon heute wieder? Er darf uns nicht so sehen! Das wäre der Super-Gau! Der denkt sonst, ich hätte mich für einen anderen Mann so aufreizend angezogen! Oder dass wir hier gleich eine Orgie veranstalten!«
Tess unterdrückte einen Schrei. »Wir müssen uns verstecken!«
Dafür blieb kaum noch Zeit. Schon sprang die Wohnungstür auf. So schnell Anne konnte, zerrte sie Tess ins Schlafzimmer. Es war ein Klassiker, aber ihr fiel nichts anderes ein – lautlos öffnete sie die Tür des großen, mannshohen Kleiderschranks, schob Tess hinein und quetschte sich hinterher. Dann zog sie die Schranktür von innen zu, während sie mit der anderen Hand Halt an der Kleiderstange suchte.
Atemlos lauschten die beiden Freundinnen, eingezwängt zwischen Kleidern, Mänteln und Anzügen. Was ging hier vor?
Annes Hirn feuerte einen Adrenalinstoß nach dem anderen ab. Ihr Herz klopfte bis zum Hals, in ihren Ohren gellte ein hoher Pfeifton. Warum kam Joachim vorzeitig zurück? Hatteer es sich anders überlegt, nach seinem kühlen Abgang gestern? War sein Seminar ein Reinfall gewesen? Oder hatte er sich doch mit irgendeiner Schlampe vergnügt und wollte nun reumütig in den Schoß der Familie zurückkehren?
Man hörte Geräusche, die offensichtlich aus der Küche kamen. Die Kühlschranktür quietschte. Schränke wurden klappernd geöffnet und geschlossen. Suchte Joachim etwas? Ihn hatte ja wohl kaum der Hunger nach Hause getrieben. Obwohl Anne gerade erst geduscht hatte, spürte sie, wie sich ein Schweißrinnsal in ihrem Nacken löste und den Rücken hinunterrann. Jetzt erst merkte sie, dass Tess sich an sie klammerte wie eine Ertrinkende an ein Stück Treibholz. Tief bohrten sich ihre Fingernägel in Annes Haut.
»Aua«, flüsterte Anne. »Lass mich gefälligst los!«
Doch Tess war gar nicht ansprechbar. Zitternd hielt sie sich an Anne fest, den Blick unverwandt auf den knapp zentimeterbreiten Schranktürspalt gerichtet, durch den man ins Schlafzimmer sehen konnte. Auch für sie war es eine hochpeinliche Situation. Joachim mochte sie ohnehin nicht besonders, weil sie so frech und unkonventionell war. Wenn er sie jetzt auch noch im Domina-Outfit überraschte …
Anne kollabierte fast, als sie Schritte auf dem Flur hörte, der zu den hinteren Räumen führte. Was passierte denn jetzt? Falls Joachim vorhatte, einen Anzug aus dem Schrank zu nehmen, konnte sie ihr Testament machen. Wonach sah es denn aus? Sie und Tess, aufreizend zurechtgemacht, in sündiger Wäsche, geschminkt
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