Gib's mir, Schatz!: (K)ein Fessel-Roman (German Edition)
frischer Tat ertappt zu werden.
Husch – weg war sie. Hinter dem Spalt war plötzlich nur noch das Bett zu sehen. Man hörte eilige Schritte, die sich Richtung Wohnungstür entfernten. Ein bisschen Geraschel, ein Schlüssel klirrte, schon wurde die Tür aufgerissen und fiel krachend ins Schloss. Hektisches Schlüsseldrehen. Dann war alles ruhig.
Anne hätte vermutlich noch eine halbe Stunde bewegungslos an der Kleiderstange gehangen, wenn Tess nicht mit einemdumpfen Knall gegen die Schranktür gedonnert und anschließend auf dem Bettvorleger gelandet wäre.
»O Gott«, stöhnte sie. »O – mein – Gott.«
Nur langsam löste sich Anne aus ihrer unbequemen Pose. Sie war vollkommen fertig mit der Welt. Einmal Hölle und zurück, das war ein bisschen viel auf einmal. Mit zitternden Beinen stieg sie aus dem Kleiderschrank.
»Ich dachte, ich sterbe«, jammerte sie.
»Ich bin schon tot«, sagte Tess mit Grabesstimme.
Alle viere von sich gestreckt, saß sie da und blinzelte Anne an. Ihre Augen brauchten offenbar eine Weile, um sich nach dem dunklen Dämmer des Kleiderschranks an das Tageslicht zu gewöhnen.
Anne massierte ihre abgestorbenen Finger. »Wir sind dem Inferno entronnen. Sie hätte mich fertiggemacht, diese Teufelin.«
»Scheiße noch mal«, fluchte Tess, »wer war das?«
»Das, liebe Tess, war meine Schwiegermutter! Ich muss sie Mutti nennen!«
Mit offenem Mund sah Tess erst zur Tür, dann Anne an.
»Und du empfiehlst mir, zu heiraten?«, polterte sie nach einer Schrecksekunde los. »Das ist ja grauenhaft! Eine Schwiegermutter, die jederzeit in deine Wohnung reinsemmeln kann, wann es ihr passt? Und das nimmst du einfach hin?«
»Ich hab’s ja gar nicht gewusst«, antwortete Anne empört. »Nie im Leben hätte ich damit gerechnet, dass Joachim ihr einen Schlüssel gegeben hat.«
»Was ’ne Flachzange, deine Schwiegermutter.« Tess schüttelte sich. »Schleicht sich hier rein. Guckt in die Zimmer. In die Schränke!«
»Sogar in die Abstellkammer!«, ergänzte Anne. »Aber der Höhepunkt der Geschmacklosigkeit kommt erst: Du hast es wahrscheinlich gar nicht mitbekommen – die Alte inspiziert das Bettlaken. Sieht nach, ob das heilige Sperma ihres Sohns drauf ist!«
»Wenn das mal kein schöner Gedanke ist«, grinste Tess.
Anne war weiß vor Wut. »Ich könnte mich übergeben!«
Vor ihrem geistigen Auge erschienen die vielen kleinen, intimen Dinge, die im Grunde harmlos waren, aber nicht für die Augen einer Schwiegermutter bestimmt. Ein Haar im Waschbecken. Ihre Tampons. Ein getragener Slip, der beim Wurf in den Wäschekorb sein Ziel verfehlt hatte. Angebissene Frühstücksbrötchen auf dem unaufgeräumten Esstisch. Die Botschaften, die sie Joachim auf kleine gelbe Zettel schrieb und an den Garderobenspiegel klebte. Alles in allem keine Geheimnisse. Aber eben Dinge, die zur Intimsphäre gehörten.
»Ich würde Joachim auf DIN A 4 falten, wenn er morgen nach Hause kommt«, schimpfte Tess. »Eigentlich müsstest du ihn ein Vierteljahr auf Sex-Entzug setzen. Aber das ist natürlich nicht das, was du vorhast.«
»Glaub mir«, zischte Anne, »Sex mit Joachim ist das Letzte, woran ich momentan denke! Ich bin vollauf mit der Frage beschäftigt, wie ich meine Schwiegermutter umbringe. Rattengift? Auftragskiller? Was meinst du?«
»Besorg dir schon mal einen guten Therapeuten. Du bist schwer traumatisiert.«
Anne ließ sich auf das Bett fallen. Immer wieder aufs Neue quälte sie die Vorstellung, dass Mutti vielleicht schon jahrelang die Wohnung filzte, ihr nachspionierte, in Schränken und Schubladen herumwühlte. Wann war sie wohl das letzte Malda gewesen? Hatte sie die Handschellen gefunden? Den Mundknebel? Hatte sie die Korsage befingert, die Strapse? Nein, beruhigte sich Anne. Das hätte sie bestimmt schon rausposaunt. Mutti war keine aus der dezenten Abteilung. Die haute ohne Filter alles raus.
»Ich brauche keinen Therapeuten«, presste sie hervor, »ich brauche jetzt einen Schnaps! Ein simplen, ordinären Schnaps!«
»Alkohol ist keine Lösung, sagst du doch sonst«, spottete Tess.
Anne überhörte die Bemerkung. »In der Küche steht eine Flasche Wodka unter der Spüle. Ich muss mich innerlich reinigen. Und dann schrubbe ich die Wohnung, bis meine Hände bluten. Mir wird ganz schlecht, wenn ich daran denke, dass diese Frau alles angetatscht hat mit ihren Wurstfingern.«
»Nun mach mal halblang«, sagte Tess. »Das mit der inneren Reinigung geht in Ordnung, aber für Großreinemachen ist
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