Gib's mir, Schatz!: (K)ein Fessel-Roman (German Edition)
einer von Eifersucht zerfressenen Ehefrau, die ihrer Nebenbuhlerin auf den Pelz rücken wollte. Das Pflaster auf ihrer Stirn, das ungekämmte Haar und ihr blutbespritzter Trenchcoat konnten diesen Eindruck nicht wesentlich verbessern.
Es dauerte eine halbe Sekunde, bis Charlotte Stark sich wieder im Griff hatte. Nur ihr Lächeln war etwas eingefroren. Forsch marschierte sie auf Anne zu und streckte ihr die Hand hin.
»Frau Westheimer, wie nett, dass Sie uns mal besuchen.« Übersetzt hieß das ja wohl: Könnten Sie bitte mal schleunigst verschwinden? »Sie mussten Ihren Mann in letzter Zeit ja öfter entbehren, so viel, wie wir mit dieser leidigen Fusion umdie Ohren hatten. Tja, wir alle mussten Überstunden dransetzen. Aber jetzt ist die Kuh vom Eis, wie wir sagen. Und das werden wir ja auch gebührend feiern.«
Anne hatte aus diesem kleinen Monolog nur ein einziges Wort herausgefiltert: das Wort »wir«. Viermal hatte Charlotte Stark es benutzt.
»Oh, ihr habt die Kuh gemeinsam vom Eis geholt?«, fragte Oma Brownie so arglos, dass nur Anne die feine Ironie in ihrer Stimme hörte.
»Jahaha«, die Anwältin lachte gequält, »wir sind wohl so etwas wie ein Dreamteam.«
In Anne tobte ein Sturm, der sich in nullkommanichts zu einem Orkan aufblies. Heute war der Tag der Wahrheit. Sie hatte mit Mutti reinen Tisch gemacht, warum nicht auch gleich mit dieser elenden Miss Perfect? Die Höflichkeiten und Rücksichtnahmen und das ewige Überlächeln der Probleme hatten sie keinen Millimeter weitergebracht.
»Erzählen Sie uns doch mal ein bisschen ausführlicher, was ›wir‹ auf Sardinien angestellt haben«, ging Anne zum Angriff über. »Ich meine natürlich Sie und mein Mann. Sind ›wir‹ uns näher gekommen?«
Vollkommen entgeistert starrte die Anwältin Anne an. Woraufhin sich Oma Brownie vom Schreibtisch löste, wo Frau Vollmer krampfhaft ihre Schuhspitzen betrachtete, und mit ihrem yogaleichten Schritt dicht an Charlotte Stark herantrat.
»Meine Tochter – ich bin übrigens die Mutter, schön dich kennenzulernen – möchte nur wissen, ob du mit meinem Schwiegersohn geschlafen hast.«
Sie hatte es so sanft und freundlich gesagt, dass die Anwältinerst mit einer gewissen Verzögerung den Inhalt der Frage begriff. Plötzlich verzerrte sich ihr schönes Gesicht. »Das muss ich mir nicht bieten lassen!«
Rumpelnd fiel der Papierkorb um, der neben dem Schreibtisch gestanden hatte. »Tschuldigung«, wisperte Frau Vollmer betreten und klaubte den verstreuten Inhalt auf.
Anne setzte sich wieder hin. Sie fing an, das Schauspiel zu genießen. Die verspannte Sekretärin, die vollkommen perplexe Charlotte Stark und Oma Brownie, die ihre lächelnde Buddha-Nummer mit unnachahmlicher Grandezza durchzog. Ohne den leisesten Anhauch von Aggression. Fehlte nur noch, dass sie ein Räucherstäbchen entzündete.
»Wir können doch offen reden, ja?«, fragte Annes Mutter, ein Bein lässig abgewinkelt. »Wir sind doch alle erwachsen, oder?«
»Ja«, kam es schmallippig von der Anwältin.
»Hui, da bin ich aber froh. Du bist echt in Ordnung, Charlotte.« Sie wandte sich zu Anne um. »Nette Frau, oder?«
Anne nickte amüsiert. »Sehr nett, wirklich.«
Dr. Stark hatte nicht den blassesten Schimmer, was hier gespielt wurde.
»Wir könnten ja bei Gelegenheit einen grünen Tee trinken«, schlug Annes Mutter vor. »Du magst doch grünen Tee, Charlotte?«
Wieder nickte die Anwältin, mittlerweile mit wachsender Panik im Blick.
»Hast du das gehört, Anne? Sie mag grünen Tee!«, rief Oma Brownie quer durch den Raum.
»Wunderbar«, grinste Anne. »Was für eine schöne Überraschung!«
»Jetzt, wo wir uns alle so gut verstehen, können wir ja noch mal in unser Thema reinspüren.«
Oma Brownie sagte tatsächlich »reinspüren«, was in Charlotte Starks rechtem Augenlid ein heftiges Zucken hervorrief. Man sah ihr an, dass sie am liebsten geflüchtet wäre. Doch das traute sie sich nicht, allein schon wegen der Sekretärin, die mit fein gespitzten Ohren Löcher in die Luft starrte.
Anne war hin und weg. Alle Streckbänke und Peitschen des Fürsten der Finsternis waren ein Fliegenschiss gegen die perfide Foltermethode ihrer Mutter. Sie entpuppte sich als unfassbar raffinierte Regisseurin dieser Situation. Jede andere hätte Annes Nebenbuhlerin eine Szene gemacht, wüste Beschimpfungen ausgestoßen. Nicht so diese schlanke, nicht mehr ganz junge Frau, die mit dem gesammelten Wissen von gut vier Jahrzehnten Therapieerfahrung
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