Gib's mir, Schatz!: (K)ein Fessel-Roman (German Edition)
Der verhinderte Liebhaber. Die enttäuschte Frau. Es musste eine gleichermaßen furchtbare wie komische Situation gewesen sein. Obwohl Anne unter starken Eifersuchtsattacken litt, war sie irgendwie erleichtert.
Noch immer gab es keine Nachricht von Joachim. Wie Oma Brownie hatte er sich offenbar auf die Psychofolter verlegt. Auf die schlimmste überhaupt: Er spielte mit Annes Muttergefühlen. Und mit den Großmuttergefühlen von Oma Brownie. Sie hatte sogar schon eine halbe Stunde meditiert, um Joachim »positive Energien« zu senden. Gerade kam sie mit einer Teekanne zur Tür herein.
»Sag mal, warst du bei der CIA? Oder beim Mossad?«, fragte Anne. »Das war ja eine Hinrichtung eben in der Kanzlei.«
»Liebes, die Kollegen von den Geheimdiensten sind Stümper gegen die Gurus, die ich kennenlernen durfte.«
Oma Brownie machte es sich neben Anne im Bett bequem. In Joachims Bademantel, der sich allmählich zu einem Gästebademantel entwickelte. Ihr Jeans-Overall kreiste in der Waschmaschine.
»Was du eben erlebt hast, war nur ein schwacher Aufguss«, fuhr Annes Mutter fort. »Vergiss nicht: Drei Jahre war ich in Poona, fünf Jahre auf dem Mount Chester, und bis heute fliege ich regelmäßig nach Esalen.«
Stirnrunzelnd gab Anne ein weiteres Stück Zucker in ihren Espresso. Das dritte. »Was ist das denn?«
»Esalen«, die Stimme ihrer Mutter klang auf einmal andächtig, »Big Sur, Kalifornien! Ein wunderschönes Fleckchen Erde am Pazifik, ein heiliger Ort der Indianer. Mit einem Institut, wo die besten spirituellen Lehrer der Welt arbeiten. Ehrlich, die Befragung von Charlotte war eine Fingerübung. Da habe ich schon ganz andere Encounter mitgemacht.«
»Erzähl!« Anne stellte gerade fest, wie wenig sie von ihrer Mutter wusste, seit sie von zu Hause ausgezogen war.
»Du brauchst nur die richtige Fragemethode, dann erlebst du dein blaues Wunder. Harte Jungs, die weinend zusammenbrechen. Top-Managerinnen, die sich auf dem Boden wälzen. Spitzenpolitiker, die auf allen vieren durch den Raum kriechen und nach ihrer Mami rufen. Der Mensch ist ein zerbrechliches Wesen.«
Darüber musste Anne erst mal nachdenken. Dr. Charlotte Stark, ein zerbrechliches Wesen? Irgendwie haute diese Theorie nicht hin. Allerdings hatte die Anwältin unter der Verhörfolter tatsächlich ziemlich flatterig gewirkt.
»Ich weiß, was du denkst«, sagte Oma Brownie. »Du meinst, du müsstest Stärke mit Stärke beantworten. Richtig?«
Anne nickte und merkte im selben Moment, wie sie selbst der Fragetechnik ihrer Mutter auf den Leim ging. »Jetzt hab ich’s kapiert: die Ja-Schleife. Immer die Fragen so stellen, dassder andere mit Ja antworten muss. So ziehst du ihm alle Informationen aus der Nase, die du haben willst.«
»Mein kluges Töchterchen.«
Anne lehnte sich zurück. Hingebungsvoll schlürfte sie ihren Espresso, während ihre Mutter nach der Kanne langte und sich eine Tasse Tee eingoss. Grün, was sonst. Wenigstens ließen die Schmerzen endlich nach, dem dreifachen Espresso und einer Tablette sei Dank. Oma Brownies Haschkekse hatte Anne dankend abgelehnt. Obwohl die angeblich besser als Tabletten wirkten.
»Du, liebe Anne, hast bei dem Gespräch mit deiner reizenden Schwiegermutter Stärke auf Stärke prallen lassen. Und das Ergebnis?«
Anne zuckte mit den Schultern.
»Frust. Nichts als Frust«, nahm Oma Brownie ihr die Antwort ab. »Immerhin hattest du den Überrumpelungseffekt auf deiner Seite. Ich gebe dir jetzt mal einen wertvollen, wirklich wertvollen Tipp: Pack den Stier bei den Hörnern. Achte auf die Stärken deines Gegners und nutze sie. Seine Stärken, nicht seine Schwächen.«
Anne rückte den Eisbeutel auf ihrem Kopf gerade, der beim Trinken verrutscht war. »Verstehe ich nicht. Ich glaube, mein Hirn ist noch im Standby-Modus.«
»Was wäre passiert, wenn ich dieser Charlotte ihre Schwächen vorgehalten hätte? Dass sie ein eiskalter Workaholic und ein scharfes Luder ist?«
»Sie hätte es abgestritten«, antwortete Anne.
»Genau. Ich habe ihr stattdessen immer wieder ihre Stärken gezeigt. Ihr gesagt, wie tüchtig und wie fleißig sie ist, wie unschuldig und mit den besten Absichten unterwegs. So wurdeaus ihrer Stärke meine Stärke. Damit hatte ich sie an den Eiern – pardon, das hört sich bei einer Frau etwas seltsam an.«
»Du solltest den Fürsten der Finsternis kennenlernen«, seufzte Anne. »Der könnte von dir noch was lernen. Und vielleicht hätte er auch noch ein paar Tricks drauf, die du nicht
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