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Gib's mir

Gib's mir

Titel: Gib's mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Lloyd
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durch.
    «Ich glaub, ich sollte auch mal was lesen», meinte er gelassen.
    «Ich bring’s dir bei», schlug ich vor. «Wir könnten beim Alphabet anfangen.»
    Er hob den Kopf und warf mir ein hinreißend süßes Lächeln zu, von dem ich wusste, dass ich es nicht verdient hatte. Ich hatte ein ziemliches Schuldgefühl dabei, dass ich ihn eigentlich ständig irgendwie auf den Arm nahm, aber dann sagte ich mir wiederum: Er musste auch lernen, sich nicht so leicht aufs Glatteis führen und zur Zielscheibe machen zu lassen.
    Luke warf das Buch zur Seite, machte dabei eine Bemerkung über das Titelbild und fing dann an mit irgendeiner Geschichte über eine Sache, als er und seine Kumpels irgendwelche Pilze ausprobiert hatten, am Palace Pier landeten und er letztlich wohl einen ziemlich miesen Trip davon hatte.
    Luke hatte die Konzentrationsfähigkeit einer Mücke. Allmählich gewöhnte ich mich aber an die unzusammenhängende Form der Kommunikation mit ihm.
    Ich schlürfte meinen Tee, ließ ihn reden, und als im Wohnzimmer das Telefon klingelte, war ich schon fast dabei, das Gespräch anzunehmen, nur um der Situation zu entfliehen. Aber ich entschloss mich, es klingeln zu lassen. Die einzigen Leute, mit denen ich vor zehn Uhr morgens zu telefonieren bereit bin, sind diejenigen, die mich niemals vor zehn Uhr morgens anrufen würden.
    «Willst du nicht drangehen?», fragte Luke.
    Ich schüttelte den Kopf. «Geht ja auf den Anrufbeantworter.»
    Also setzte Luke seine langweilige Drogengeschichte fort, während ich meine Ohren spitzte, wer mir da eine Nachricht hinterlassen würde. Es war Ilya.
    «Psssst!», brachte ich Luke mit einer unwirschen Handbewegung zum Schweigen. Er war sofort still.
    «Ich weiß, dass du im Moment beschäftigt bist», tönte Ilyas müde wirkende Stimme aus dem Zimmer nebenan. «Also werde ich dich auch gar nicht erst bitten, doch den Hörer abzunehmen.»
    Ein warmes, selbstgefälliges Glühen durchzog mich.
    «Aber ich würde dich wirklich gerne sehen», fuhr er fort. «Tatsächlich müssen wir uns sogar sehen. Bald. Ich muss mit dir reden, Beth. Über ganz viele Dinge.»
    Mein selbstgefälliges Strahlen wurde noch breiter, und ich stand augenblicklich in Flammen, als Ilya fragte, ob ich bitte rüber in seine Wohnung kommen könnte, sobald es mir möglich sei.
    «Ich würde auch rüber zu dir kommen», ging die Nachricht weiter, «aber nur wenn du willst. Allerdings würde ich es wirklich vorziehen, wenn du hierher kämst. Bitte, Beth.»
    Mein Herz hüpfte vor Entzücken. Er kroch zu Kreuze. Er konnte es nicht aushalten, dass wir uns nicht mehr sahen. Er bat mich – und, ach, wie nett er das konnte –, wieder zu ihm zu kommen. Er hatte sich sogar drauf eingestellt, zu reden.
    «Wer war das?», fragte Luke und beobachtete mich neugierig, während das Band zurückspulte.
    Auf meinem Gesicht lag ein dümmliches, glückliches Grinsen. Ich wusste genau, dass es so war. Ich konnte es überhaupt nicht verhindern.
    «Das ist mein anderer Liebhaber», erklärte ich, straffte meinen Rücken und breitete meine Arme weit auseinander.
    Luke sah mich forschend an. «Scherz?», fragte er und lächelte zaghaft.
    «Nein, Luke. Diesmal nicht.»

    «O Gott!», keuchte ich, als ich Ilya an seiner Wohnungstür stehen sah. «Was, zum Teufel, ist mit deinem Gesicht passiert?»
    Er hatte einen wüst aussehenden blauen Fleck auf einem Wangenknochen; sein linkes Auge war halb geschlossen, und unter dem hängenden, geschwollenen Lid war das Auge vollkommen blutunterlaufen; er hatte einen Riss über der Augenbraue, und in seinem Mundwinkel klebte hässlich purpurrot verschorftes Blut.
    All meine Pläne, streng und abwartend zu sein, etwas abweisend, ihm dann aber letztlich großmütig zu verzeihen, waren auf und davon, raus aus dem Fenster.
    Ilya bemühte sich zu lächeln, aber es tat offenbar zu weh und geriet deshalb eher zur Grimasse. An der rechten Hand trug er eine nur halbwegs und ungeschickt gewickelte Bandage, aus der Wattefetzen hingen. Auf seinem Kieferknochen konnte man noch eine weitere Verletzung erkennen. Er war unrasiert und sah verdammt müde aus.
    «Jämmerlicher Anblick», meinte er und ging mit langsamen, steifen Schritten in den sonnigen Wohnraum.
    «Bist du verletzt?», fragte ich, besorgt hinter ihm herhuschend. Ich wollte ihn berühren, ihm irgendwie helfen, aber ich traute mich nicht, da ich Angst hatte, irgendwas anzufassen, was ihm wehtat. Eine plötzliche Zuneigung durchschoss mich, die so stark

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