Gib's mir
bis zum ersten Absatz hinauf, wobei meine Knöchel bereits zu schmerzen begannen von den Schuhen. Am Ende sah ich eine leicht geöffnete Tür, und als ich näher kam, die messingfarbene Nummer. Seine Wohnung. Ein bisschen mehr Ritterlichkeit hätte ja wohl nicht schaden können, dachte ich, etwas gekränkt, dass er mich nicht an der geöffneten Tür empfing.
«Ich bin’s, Beth», sagte ich nochmal und erwartete fast, dass mir die Stimme eines Fremden antworten würde: «Wer?»
«Ich weiß», ertönte Ilyas Stimme, und ich wandte mich nach links, wo sie herkam, sah dort eine Tür, aus der schummriges rotes Licht in den unbeleuchteten Flur fiel. Mit gestrafften Schultern und nach vorn gestreckten Brüsten stakste ich in den Raum, bemerkte sofort das Fenster, das, wären die Jalousien hochgezogen gewesen, den Blick genau auf mein Fenster drüben ermöglicht hätte. Das fühlte sich ein bisschen merkwürdig an.
Ilya lag lang ausgestreckt auf einem Sofa, mit übereinandergelegten Füßen, verfolgte meinen großen Auftritt. Im purpurroten Schein der Tischlampe war er mehr als ein Schatten und nur undeutlich zu erkennen, auf seinem kurzgeschorenen Haar lag ein rötlicher Schimmer. Er lächelte mich nicht mal an. Er sah nur an mir herunter und wieder hinauf, wobei seine Blicke schnell und abschätzig über mich glitten, nicht irgendwie lüstern auf mir verweilten. Sein dunkles Gesicht – teils von kantiger Schönheit, teils von schräger Grobheit – blieb streng und unbewegt.
Für einen Moment war er wieder der rätselhafte Unbekannte aus meiner Vorstellungswelt, aber dann fiel mir ein, dass dies ja ein Rollenspiel war. Er war mein arroganter Freier, und ich musste seine Hure sein. Inspiriert schritt ich weiter und versuchte dabei eine kurze Bestandsaufnahme meiner Umgebung.
Der erste Eindruck: nicht gut. Und es wäre wahrscheinlich noch viel schlimmer gewesen ohne das rote Licht, das die Schäbigkeit des Raumes ein bisschen verschleierte. Das Ganze machte einen ziemlich vorübergehenden Eindruck, so als hätte Ilya die Wohnung teilmöbliert gemietet und seitdem eigentlich nichts daran verändert. Und anders als bei den meisten Menschen hing absolut nichts an den Wänden. Keine Bilder, keine Bücherregale. Alles, was darin stand, war niedrig, und das sieht in Räumen mit einer hohen Decke wirklich nicht gut aus.
Und sein Kamin – ein massives Teil aus Marmor – war mit einer Spanplatte vernagelt, und auf dem Sims stand rein gar nichts Persönliches oder Nettes – nur hässlicher Krempel lag dort herum: ein paar Batterien, eine Schachtel Zigaretten, ein unordentlicher Haufen Papiere, all solche Sachen.
Ich war etwas enttäuscht – nicht etwa weil ich ein Musterbeispiel aus dem Ikea-Katalog erwartet hatte, sondern eher weil ich mir ein paar Aufschlüsse über ihn erhofft hatte: über seinen Geschmack, seine Art zu leben und so weiter.
Aber abgesehen davon, störte ich mich nicht weiter an der schäbigen, spartanischen Ausstrahlung seiner Wohnung. Ich dachte einfach: Na gut, er ist eben ein Kerl. Die machen sich eben nicht so viel aus Einrichtung und Deko. Immerhin wolltest du’s ja primitiv, Beth. Und jetzt hast du, was du wolltest.
Ilya bewegte sich nicht von seinem Sofa, also wand ich mich aus meinem Regenmantel, warf ihn auf einen durchgesessenen Lehnstuhl und drehte mich zu Ilya um. Ich stellte mich breitbeinig hin und stemmte eine Hand in die Hüfte. Herausfordernd warf ich meine Haare zurück und blickte ihn direkt an.
Hier bin ich also, dachte ich. Komm, schau dir an, was ich zu bieten habe. Mach mich nach Herzenslust zu deinem Objekt. Hilf mir, die letzten Spuren von Beth abzuschütteln und mach mich zu Fleisch, zu einer Ware, zu einer käuflichen Fotze – einer Fotze, die so heiß darauf ist, dass ich es sofort umsonst mache.
Während Ilya seinen Blick über mich streifen ließ, verzogen seine Lippen sich zu einem vagen Grinsen, und er nickte in sich hinein. Mein Herz begann zu rasen.
Ich konnte sehen, dass ich ihm gefiel. Ich sah wundervoll billig aus, so leicht zu haben und vulgär. Wie sollte er einem so heißen kleinen Ding widerstehen können?
«Und?», fragte ich und gab dem Wort dabei eine aggressive Note. «Gefällt dir, was du siehst?»
Ilya stand gelangweilt auf, so als würde er sich aufraffen, einen Tee zu kochen.
«Das wird schon gehen mit dir», sagte er, und dann war es an mir, die Nutte zu geben. Ich hatte hier die Hure zu spielen, und das wollte und würde ich tun. Ich würde
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