Gideon Crew 01 - Mission - Spiel auf Zeit
Magazin der Beretta entfernt worden waren.
Er zog die Pistole aus dem Auge des Mannes. Der lag auf dem Boden und brabbelte wie ein Baby. »Hör mir gut zu, Fernando«, sagte Gideon und blickte auf den Führerschein des Mannes. »Ich hab deine Schlüssel, ich kenne deine Adresse. Wenn du irgendwelchen Scheiß baust, komme ich zu dir nach Hause und bringe deine Familie um, deinen Hund, deine Katze und deine Goldfische.«
Der Mann fing an zu wimmern, legte die Hände aufs Gesicht, schaukelte auf dem Fußboden hin und her.
Als Gideon das Gebäude verließ, vergewisserte er sich, dass Lippenbläschen nicht irgendwo herumlungerte, dann machte er sich auf den Weg zur U-Bahn-Station Grand Concourse. Auf dem Weg ließ er die Schlüssel, die Klunker und die Brieftasche in einen Gully fallen und behielt das Geld und die Waffen.
Jetzt besaß er zwei Pistolen. Er trat in einen Hauseingang und begutachtete seine Beute. Bei der zweiten Waffe handelte es sich um eine Taurus Millennium Pro Kaliber 32 ACP mit vollem Magazin. Er lud die 9-mm-Patronen ins Magazin der Beretta, schob es hinein und steckte sich beide Waffen hinter den Gürtel. Dann zog er seine Jacke aus und inspizierte seine Schulter. Die Wunde war nicht ganz so oberflächlich, wie er gedacht hatte, aber trotzdem nur eine Fleischwunde. Er zog die Jacke wieder an und sah auf die Uhr. Zehn Uhr morgens.
Auf dem Weg zur U-Bahn kaufte er in einem Drogerieladen einen Druckverband und legte ihn auf der Toilette an. Anschließend betrat er, einem Impuls folgend, ein Papierwarengeschäft und kaufte ein Notizbuch, Schreibpapier, einen Kugelschreiber und einen wattierten braunen Umschlag. Schließlich begab er sich zu einem Coffeeshop in der Nähe, um sein Testament zu schreiben.
59
Im Coffeeshop herrschte eine heitere Atmosphäre, eine feste Burg gegen den Schmutz und die Hoffnungslosigkeit draußen. Eine stämmige Kellnerin kam herbeigeeilt, mindestens sechzig, aber agil wie ein Teenager, mit wippender Frisur und zentimeterdickem Make-up.
»Was kann ich Ihnen bringen, junger Mann?«
Sie war spitze. Zum ersten Mal seit langer Zeit hatte Gideon ein Gefühl, das nicht düster war. Er rang sich ein Lächeln ab. »Kaffee, gewendete Spiegeleier, Schinken, weißen Toast.«
»Kommt sofort.«
Sie ging los, und er klappte das Notizbuch auf und überlegte. Zwei Dinge liebte er in dieser Welt: die Fischerhütte in den Jemez-Bergen und seine Winslow-Homer-Zeichnung. Die Zeichnung müsste zurück ins Merton Art Museum in Kittery, Maine, wo er sie sich vor Jahren angeeignet hatte. Aber die Hütte … Er wollte sichergehen, dass jemand sie erbte, der sie ebenso liebte wie er, der sie nicht verfallen lassen würde. Oder an einen Immobilienmakler verkaufte. Selbst wenn er Nodding Crane besiegte – und das war ein großes Wenn –, wusste er, dass er dem Tod schon ins Gesicht blickte.
Die Kellnerin stellte das Frühstück vor ihm ab. »Na, schreiben Sie den Großen Amerikanischen Roman?«
Er schenkte ihr sein schönstes Lächeln. Erfreut ging sie davon. Und während Gideon über seine Sterblichkeit nachsann, wurde ihm klar, dass er niemanden hatte. Er hatte den Großteil seines Erwachsenenlebens andere von sich weggestoßen. Er hatte keine Familie, keine echten Freunde und keine Kollegen, mit denen er freundschaftlichen Umgang pflegte. Tom O’Brien war ein Kumpel, aber ihre Beziehung war immer funktional gewesen, außerdem mangelte es dem Typen an Integrität. Sein einziger echter Freund war eine Prostituierte gewesen – und er trug die Verantwortung, dass sie umgebracht worden war.
»Soll ich Ihnen nachschenken?«, fragte die Kellnerin.
»Danke.«
Und da fiel ihm ein Name ein. Jemand, dem er vertrauen konnte. Charlie Dajkovic. Er hatte sich seit dem Tod von General Tucker nicht mehr bei dem Mann gemeldet. Dajkovic hatte einige Zeit im Krankenhaus verbracht, aber als Gideon das letzte Mal von ihm gehört hatte, befand er sich auf dem Weg der Besserung. Sie waren keine Freunde, nicht im eigentlichen Sinn. Aber Dajkovic war eine ehrliche Haut, ein guter Mensch.
Gideon fing an zu schreiben und versuchte dabei, das leichte Zittern in seiner Hand zu beherrschen. Es fiel ihm nicht leicht. Dajkovic würde die Hütte bekommen und alles, was sich darin befand, mit Ausnahme der Zeichnung. Er ernannte Dajkovic zu seinem Nachlassverwalter und beauftragte ihn, die Zeichnung anonym ans Merton Art Museum zurückzugeben. Im Leben war er allen Verdächtigungen entkommen; nach seinem Tod sollte
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