Gideon Crew 01 - Mission - Spiel auf Zeit
ihn erst recht niemand behelligen.
Es dauerte nicht lange, das Dokument zu Ende zu schreiben. Als er es durchlas, gingen seine Gedanken zurück zur geheimen Angelstelle im Chihuahuenos Creek. Es hatte Jahre gedauert, in denen er die Angel über das Wasser des Gebirgsbachs auswarf, der die nördlichen Jemez Mountains entwässerte, um diesen Ort zu finden – der schönste auf Erden. Nachdem er einen Augenblick lang überlegt hatte, drehte er den Brief um und zeichnete für Dajkovic eine Landkarte, die ihm zeigte, wie er dorthin gelangte, dazu Vorschläge, welche Fliegen er zu welchen Jahreszeiten verwenden sollte. Das wäre seine größte Hinterlassenschaft.
Er hoffte nur, dass Dajkovic gern angelte.
Als er fertig war, rief er die Kellnerin zu sich.
»Möchten Sie noch etwas mehr Kaffee?«
»Nein, einen Gefallen.«
Sofort hellten sich ihre Züge auf.
»Dieser Brief«, sagte Gideon, »ist mein Testament. Ich brauche zwei Zeugen.«
»Ach, junger Mann, Sie sind doch kaum über dreißig, wieso denken Sie denn schon jetzt an so was?« Die Kellnerin schenkte ihm trotzdem den Becher voll. »Ich bin dreißig Jahre älter und denke noch immer nicht daran.«
»Ich leide an einer tödlichen Krankheit.« Kaum hatte er das gesagt, fragte er sich, warum um alles in der Welt er sich dieser Fremden anvertraute.
Die Kellnerin legte ihm sanft die Hand auf die Schulter. »Das tut mir leid. Nichts ist in Stein gemeißelt. Beten Sie zum lieben Gott, er wird Ihnen ein Wunder schicken.« Sie wandte sich ab. »Gloria? Komm mal her, der Herr hier benötigt unsere Hilfe.«
Die andere Kellnerin des Coffeeshops kam herüber, ein pummeliges junges Ding von vielleicht zwanzig Jahren, die übers ganze Gesicht strahlte, weil sie helfen konnte. Gideon war gerührt von diesen zwei Zufallsbekanntschaften mit großem Herzen.
»Ich unterschreibe jetzt das Testament«, sagte Gideon, »und dann möchte ich, dass Sie beide es beglaubigen und hier mit Ihrem Namen unterzeichnen.«
Er unterschrieb, sie unterschrieben, und dann, als Gideon sich erhob, nahm ihn die alte Kellnerin spontan in den Arm. »Beten Sie zu Gott«, sagte sie. »Es gibt nichts, was Er nicht vermag.«
»Ich danke Ihnen ganz herzlich. Sie beide waren wirklich sehr freundlich.«
Sie gingen davon. Gideon verfasste ein Anschreiben an Eli Glinn, in dem er ihn darum bat, dafür Sorge zu tragen, dass Dajkovic den Brief erhielt. Dann klebte er das Kuvert zu und adressierte es an Glinn, Effective Engineering Solutions in der Little West 12th Street. Er zog den Packen Geldscheine hervor, den er dem Drogendealer abgenommen hatte, schob ihn unter seinen umgedrehten Teller und verließ rasch den Coffeeshop.
Auf dem Weg zur U-Bahn warf er den Brief in einen Briefkasten und verspürte dabei eine Riesenwelle des Selbstmitleids wegen seines einsamen, verkorksten Lebens, das bald auf die eine oder andere Weise enden würde. Vielleicht hatte die Kellnerin ja recht: Er sollte es mal mit Beten versuchen. Nichts anderes hatte in seinem jämmerlichen Leben funktioniert.
60
Gideon fuhr mit der U-Bahn bis zur Endhaltestelle der Linie und dann mit dem Bus nach City Island. Um die Mittagszeit stand er vor Murphy’s Bait und Tackle auf der City Island Avenue, während über ihm Seevögel kreisten. Kaum zu glauben, dass das verschlafene Fischerdorf zu New York City gehörte.
Er trat ein und stand in einem schmalen Laden mit Glasvitrinen auf drei Seiten und einem riesigen Mann im T-Shirt am hinteren Ende.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte der Mann dröhnend in freundlichem Bronx-Akzent.
»Sind Sie Murphy?«
»Höchstpersönlich.«
»Ich möchte ein Boot mieten.«
Die Formalitäten der Anmietung waren schnell erledigt, anschließend führte der Mann ihn durch den Laden zum dahinter gelegenen Anlegesteg. Dort waren ein Dutzend offene Fiberglas-Ruderboote festgemacht, jedes mit einem 6- PS -Außenbordmotor, Anker und Benzinkanister ausgestattet.
»Wir kriegen bald ein Gewitter«, sagte Murphy, als er das Boot zur Abfahrt vorbereitete. »Seien Sie lieber bis vier wieder zurück.«
»Kein Problem«, erwiderte Gideon, während er die Angelrute und die Köderbox verstaute, die er sich zur Tarnung gekauft hatte.
Ein paar Minuten später legte er ab, und schon bald fuhr er unter der City Island Bridge hindurch und gelangte ins offene Gewässer des Long-Island-Sunds. Hart Island lag ungefähr eine halbe Meile nordöstlich, eine lange, niedrige Masse, undeutlich im Dunst zu erkennen, beherrscht von
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