Gideon Crew 01 - Mission - Spiel auf Zeit
Muskel um Muskel zu entspannen, ließ die Ereignisse des Tages Revue passieren. Fünfzehn Stunden zuvor hatte er noch im Chihuahuenos Creek auf Forelle geangelt. Jetzt saß er hier in einem Hotelzimmer in Manhattan, mit 20 000 Dollar in der Tasche, war todkrank und hatte das Blut eines Fremden an den Händen.
Er stand auf, streifte sein Hemd ab und ging ins Bad, um sich Hände und Arme zu waschen. Er kam heraus und zog ein frisches Hemd an. Nachdem er mehrere Plastikmüllbeutel aufs Bett gelegt hatte, breitete er sorgsam Wus Kleidungsstücke aus, die in der Notaufnahme abgeschnitten worden und bereits im Entsorgungssystem für medizinische Abfälle verschwunden waren. Es war teuflisch schwierig gewesen, an die Kleidungsstücke heranzukommen. Ein herzerwärmendes Lügenmärchen über ein gebrochenes Versprechen, einen Schneider in Hongkong und einen verschollenen Welpen hatte zum Erfolg geführt – aber nur so gerade eben.
Als er die Kleidungsstücke sorgfältig angeordnet hatte, breitete Gideon den Inhalt von Wus Brieftasche aus, das Kleingeld aus seinen Taschen, Pass, Rollerballstift und einen altmodischen Rasierapparat in einem Plastiketui, ohne Klinge, die er in seiner Anzugjacke gefunden hatte. Das war alles. Kein Handy, kein BlackBerry, kein Taschenrechner, kein USB -Stick.
Während Gideon arbeitete, zog der Morgen über der Stadt herauf, das Licht in den Hotelfenstern wechselte von Grau zu Gelb, New York erwachte: Autogehupe und Verkehrslärm.
Als alles mit geometrischer Präzision ausgelegt war, nahm Gideon es genauer in Augenschein, den Finger nachdenklich auf die Unterlippe gelegt. Sollte Wu die Pläne für eine neue Waffe bei sich getragen haben, dann war überhaupt nicht zu erkennen, wo sie sich befanden – wenn er sie denn am Körper getragen hatte. Bei der Zahlenliste, die Wu ihm am Unfallort zugekeucht hatte, konnte es sich nicht um die kompletten Pläne handeln. Solche Pläne würden, selbst in extrem komprimierter Form, eine beträchtliche Datenmenge erfordern. Sie wären digital gespeichert, was bedeutete, dass er nach einem Mikrochip suchen musste, einer magnetischen oder Blasenspeichervorrichtung, einem holographischen Bild, gespeichert auf irgendeinem Medium, oder vielleicht einem Aufzeichnungsträger wie einer CD oder DVD .
Es erschien Gideon logisch, dass Wu die Pläne am Körper oder, exotischer vielleicht,
im
Körper getragen hatte. Gideon schüttelte sich und beschloss, sich mit der »Im Körper«-Frage später zu befassen. Als Erstes wollte er Wus wenige Besitztümer allesamt sorgfältig untersuchen.
Aus einem Einkaufsbeutel, der neben der Tür stand, zog er das elektronische Gerät, das er kurz zuvor gekauft hatte – erstaunlich, was man in Manhattan zu jeder Tages- und Nachtzeit so alles bekommen konnte, von Bomben bis zu Blowjobs –, öffnete die Verpackung und fing an, die Einzelteile zusammenzusetzen. Beim sogenannten MAG 55W05 Advanced Countermeasures Sweep Kit handelte es sich um eine Gerätschaft, die Privatdetektive, Vorstandschefs und andere paranoide Leute einsetzten, um Räume nach Wanzen zu durchsuchen. Nachdem Gideon die Einzelteile montiert hatte, blätterte er rasch in dem Handbuch, dann schaltete er das Gerät ein.
Mit penibler Langsamkeit bewegte er den Suchschirm über die Kleidung, die ausgebreitet auf dem Bett lag. Keine Treffer. Die Brieftasche und ihr Inhalt – Geld, Visitenkarten, Familienfotos – ergab ebenfalls nichts, bis auf den Magnetstreifen auf der einzelnen Kreditkarte, die Wu bei sich gehabt hatte. Als der Suchschirm über den Magnetstreifen glitt, piepte und blinkte das MAG 55, und auf dem LED -Bildschirm hoben und senkten sich flackernd kleine Balken. Anscheinend befanden sich Daten auf dem Streifen, aber wie viele genau, konnte Gideon nicht erkennen. Das MAG 55 verriet ihm nur, dass die Datenmenge weniger als 64K Speicherplatz einnahm. Gideon musste also irgendeine Möglichkeit finden, den Magnetstreifen herunterzuladen und zu untersuchen.
Auch in Wus chinesischem Pass war am äußeren Rand der Vorderseite ein Magnetstreifen eingeschweißt, genauso wie bei US -Pässen. Mit Hilfe der integrierten Lesevorrichtung des Geräts stellte Gideon fest, dass dieser Magnetstreifen Daten enthielt, die ebenfalls weniger als 64K Speicherplatz einnahmen. Nachdenklich kratzte er sich am Kopf. Das war eigentlich zu klein, um die Funktionsweise einer Geheimwaffe glaubhaft zu beschreiben. Mit Hilfe fortgeschrittener Technik ließen sich Daten zwar stark
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