Gideon Crew 01 - Mission - Spiel auf Zeit
ungehemmt weinend, während sie zum Restaurant blickte. »Was für eine Tragödie. Was für eine schreckliche Tragödie.«
Gideon sah sie an. Und dann – während Polizisten, Sanitäter und Feuerwehrleute an ihm vorbeistürmten und Sirenengeheul die Luft erfüllte – stand er auf, ließ seine Mietlimousine stehen, die inzwischen von Notfallfahrzeugen zugeparkt war, und schritt langsam und unauffällig auf den zwei Querstraßen entfernten Eingang der U-Bahn zu.
17
Henriette Yveline ließ das Klemmbrett sinken, nahm ihre Lesebrille ab und betrachtete den jungen, schmuddeligen Mann im dunklen Anzug, der da in den Anmeldungsbereich der Notaufnahme gewankt kam. Es war ein gutaussehender Bursche, schlaksig, die rabenschwarzen Haare waren völlig zerzaust und fielen ihm in die strahlend blauen Augen. Aber du meine Güte, in was für einem Zustand er sich befand! Hände, Arme und Hemd mit Blut verschmiert, die Augen wild dreinblickend, nach Benzin und verbranntem Gummi stinkend. Er zitterte am ganzen Leib.
»Kann ich Ihnen helfen?«, sagte sie bestimmt, aber nicht unfreundlich. Sie sorgte gern für Ordnung im Wartezimmer der Notaufnahme – keine leichte Aufgabe im Krankenhaus Mount Sinai an einem heißen Juninachmittag.
»Mein Gott, ja, ja«, erwiderte der Mann ganz gehetzt. »Mein … mein Freund, er wurde gerade eingeliefert. Ein furchtbarer Autounfall. Wu Longwei ist sein Name, aber er nennt sich Mark Wu.«
»Und Sie sind?«
Es war unübersehbar, dass der junge Mann seine Gefühle kaum im Zaum zu halten vermochte. »Ein enger Freund. Gideon Crew.«
»Vielen Dank, Mr. Crew. Darf ich fragen, ob es Ihnen gutgeht? Keine Verletzungen, Blutungen?«
»Nein, nein, nichts«, sagte er geistesabwesend. »Es … es ist nicht mein Blut.«
»Verstehe. Eine Sekunde bitte.« Sie setzte ihre Lesebrille wieder auf, hob das Klemmbrett, auf dem die Neuaufnahmen verzeichnet waren, an und sah die Liste durch. »Mr. Wu wurde vor einer Viertelstunde aufgenommen. Die Ärzte sind momentan bei ihm. Möchten Sie Platz nehmen und warten?« Sie deutete auf den großen, zur Hälfte mit Patienten gefüllten Warteraum, in dem einige leise weinten, andere vor sich hin starrten. In einer Ecke saß eng zusammengedrängt eine Großfamilie und tröstete eine schluchzende Drei-Zentner-Frau.
»Sagen Sie bitte«, sagte Gideon, »wie geht es ihm?«
»Ich fürchte, es ist mir nicht gestattet, irgendwelche diesbezüglichen Informationen weiterzugeben, Mr. Crew.«
»Ich muss ihn sehen. Ich
muss
.«
»Im Moment darf ihn niemand besuchen«, sagte Yveline, ein wenig bestimmter. »Glauben Sie mir, die Ärzte tun, was Sie können.« Sie hielt inne und fügte einen Satz hinzu, der noch immer Trost gespendet hatte. »Das Mount Sinai ist eines der besten Krankenhäuser der Welt.«
»Sagen Sie mir wenigstens, wie es ihm geht.«
»Es tut mir leid, Sir, aber die Krankenhausvorschriften besagen, dass ich nur einem Angehörigen ärztliche Informationen weitergeben darf.«
Der Mann starrte sie an. »Aber … wer ist ein Angehöriger?«
»Ein Verwandter oder eine Verwandte, der oder die sich ausweisen kann, oder ein Ehepartner.«
»Ja, aber … schauen Sie, Mark und ich … wir waren … Partner.
Lebens
partner.« Obwohl sein Gesicht blutverschmiert und schmutzig war, fiel ihr auf, dass er errötete, als er dieses private Detail preisgab.
Yveline legte das Klemmbrett aus der Hand. »Ich verstehe. Aber ich darf Informationen nur an Verwandte oder den gesetzlichen Ehepartner herausgeben.«
»Den gesetzlichen Ehepartner? Um Himmels willen, Sie wissen doch ganz genau, dass gleichgeschlechtliche Ehen in New York verboten sind.«
»Es tut mir leid, Sir. Vorschrift ist Vorschrift.«
»Ist er tot?« Der Mann wurde plötzlich laut, sehr laut.
Sie blickte ihn ein wenig alarmiert an. »Sir, bitte beruhigen Sie sich doch.«
»Wollen Sie mir deswegen nichts sagen? Oh, mein Gott,
ist er tot?
« Jetzt schrie der Mann.
»Ich brauche etwas Schriftliches, irgendeinen Nachweis, dass Ihre Beziehung …« Sie verstummte. Es hatte schon mehrfach Konflikte wegen der Besuchsrechte von gleichgeschlechtlichen Partnern gegeben. Das Krankenhaus änderte ständig seine Politik in dieser Frage, und Leute wie sie mussten dann Spießruten laufen zwischen den Besuchern. Das war nicht fair.
»Wer trägt denn immer offizielle Schriftstücke unterm Arm?« Der Mann brach in Tränen aus. »Wir kommen gerade aus China!« Er wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, seine Augen
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