Gideon Crew 01 - Mission - Spiel auf Zeit
wirkten blutunterlaufen, seine Lippen bebten.
»Ich weiß, Sie sind aufgebracht, aber wir dürfen keine Informationen an jemanden herausgeben, der behauptet, der Lebensgefährte eines Patienten zu sein, ohne irgendeine Art Beweis zu bekommen.«
»Beweis?« Gideon streckte ihr seine blutigen Hände entgegen, seine Stimme schwoll zu einem Kreischen an. »Hier ist Ihr Beweis! Schauen Sie ihn sich an! Sein Blut an meinen Händen!
Ich
habe ihn aus dem Unfallauto gezogen!«
Yveline fand keine Worte; was sollte sie dem Mann antworten? Das ganze Zimmer hörte zu. Selbst die Drei-Zentner-Frau hatte zu weinen aufgehört.
»Ich muss es
wissen!
« Und während dieser letzten Wehklage sackte der Mann zusammen und stürzte auf den Boden.
Yveline drückte den Notfallknopf, wodurch sie die Oberschwester hinzuzog. Die Leute blickten auf den Mann, der dort auf dem Boden lag, aber sein Zusammenbruch hatte wohl mehr emotionale und weniger medizinische Gründe; außerdem sah sie, dass er sich schon wieder beruhigte. Er setzte sich auf die Knie, hyperventilierte, und irgendwelche Leute aus dem Kreis der Wartenden eilten herbei, um ihm aufzuhelfen.
»Helfen Sie ihm, dass er sich setzen kann«, sagte Yveline. »Die Schwester ist schon unterwegs.« Weitere Personen aus der Gruppe reagierten und führten den Mann zu einem Stuhl an der Wand. Er ließ sich schwerfällig darauf nieder, schlug die Hände vors Gesicht und brach in lautes Schluchzen aus.
»Nun seien Sie doch nicht so«, sagte eine Frau. »Was ist so schlimm daran, wenn Sie ihm sagen, wie es seinem Freund geht?«
Zustimmendes Murmeln unter den Wartenden. Gideon Crew schaukelte im Stuhl hin und her, das Gesicht in den Händen.
»Er ist tot. Ich weiß es. Er lebt nicht mehr.«
Yveline ignorierte die Wartenden und ging zu ihrem Klemmbrett zurück. Es war eine verdammte Schande, dass die Vorschriften sie zu diesem Verhalten zwangen. Aber sie war entschlossen, keine Unschlüssigkeit, keine Schwäche zu zeigen.
»Sagen Sie ihm doch einfach, wie es seinem Freund geht«, beharrte die Frau.
»Ma’am«, sagte Yveline. »Ich mache die Vorschriften nicht. Medizinische Informationen unterliegen der Schweigepflicht.«
Die gehetzt wirkende Schwester traf ein. »Wo ist der Patient?«
»Er ist agitiert – zusammengebrochen.« Yveline deutete auf den Mann.
Die Schwester ging zu ihm hin und sagte mit sanfter Stimme: »Hallo, ich heiße Rose. Was für Beschwerden haben Sie?«
Der Mann schluchzte. »Er ist tot, aber man will es mir nicht sagen.«
»Wer?«
»Mein Lebenspartner. In der Notaufnahme. Aber man will mir nichts sagen, weil ich keine Papiere dabeihabe.«
»Sie leben in einer festen Beziehung zusammen?«
Ein Nicken. »Seit fünf Jahren. Er bedeutet mir alles. Er hat keine Familie hier.« Plötzlich blickte Gideon flehentlich auf. »Bitte lassen Sie ihn nicht allein sterben!«
»Darf ich?« Die Krankenschwester nahm Gideons Puls, legte eine Manschette an und maß den Blutdruck. »Es geht Ihnen gut. Sie sind nur ein wenig erregt. Atmen Sie ein wenig langsamer, ich rede mal mit der Dame von der Aufnahme.«
Der Mann nickte und bemühte sich, seine Atmung in den Griff zu bekommen.
Die Oberschwester ging zu Yveline hinüber. »Lassen Sie ihn uns einfach als Lebensgefährten registrieren. Ja? Ich übernehme die volle Verantwortung.«
»Danke.« Die Schwester verließ den Raum. Yveline rief die elektronische Datei auf und las den letzten Eintrag. »Mr. Crew?«
Er sprang auf.
»Ihr Freund ist schwer verletzt, aber am Leben, und sein Zustand stabilisiert sich«, sagte sie leise. »Kommen Sie mal her und unterschreiben Sie dieses Formular. Ich registriere Sie als seinen Lebensgefährten.«
»Gott sei Dank!«, rief er. »Er lebt, Dank sei Gott!«
Im Wartezimmer wurde laut applaudiert.
18
Gideon sah sich in dem Zimmer um, das er in der Howard Johnson Motor Lodge in der Eight Avenue gebucht hatte. Es war überraschend anständig, gut eingerichtet, keine Spur von Blau und Orange zu sehen. Und am besten von allem: Es gab eine iPod-Dockingstation. Er zog seinen iPod hervor, überlegte, entschied sich für Bill Evans’
Blue in Green
und stellte den iPod ins Dock. Es erklangen die bittersüßen Klänge von
The Two Lonely People
. Er trank seinen fünffachen Espresso aus und warf den Becher in den Abfalleimer.
Mehrere Minuten lang saß er regungslos auf dem Stuhl an dem kleinen Schreibtisch. Er ließ die stimmungsvolle, introspektive Musik über sich hinwegspülen, zwang sich,
Weitere Kostenlose Bücher